Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
eigenen Keller – wurde bereits eine Vorauswahl getroffen. Man braucht also nur noch zu entscheiden, ob einem eher nach einem Chinon oder einem Conchagua, einem südafrikanischen Sauvignon oder einem Grünen Veltliner aus Österreich ist. Je nach Stimmung, Wetter, Anlass trifft man die Wahl intuitiv.
Bereist man ein Weinland, möchte man wahrscheinlich vor allem eines: einen einheimischen Tropfen – vielleicht einen, den man schon kennt, oder auch einen, von dem man noch nie gehört hat. In letzterem Fall holt man vermutlich Rat von jemandem ein, der ähnliche Vorlieben hat. Heute teilt sich die Weinwelt in Liebhaber von »Wuchtbrummen« und Freunde der Eleganz und Ausgewogenheit. Wer sich mit Wein beschäftigt, lernt schnell, die Verkostungsnotizen auf Listen zu lesen und daraus die Kategorie abzuleiten, zu der das jeweilige Gewächs gehört. »Massiv« lässt keinen Zweifel an der Statur eines Tropfens, »süße Frucht« deutet auf subtilere Ausführungen hin und »delikat« oder »geradlinig« sind Signalwörter für Anhänger der Eleganz.
Irgendwann einmal kommt der Punkt, ob in einem Restaurant oder beim Essen mit Freunden zu Hause, an dem man für ein Gericht das passende Gewächs finden muss. Nun wird es richtig kompliziert – sofern man es kompliziert werden lässt. Denn die Abstimmung von Wein und Speisen ist nicht schwieriger als die Auswahl einer Beilage zu Fleisch oder Fisch. Bei der Frage, ob Brokkoli mit Knoblauch kombiniert werden kann, greift man auf dieselben Entscheidungshilfen zurück wie bei dem Problem, welcher Wein welches Essen begleiten kann: Geschmack, Textur, Gewicht und Saisoncharakter.
Letztendlich aber gibt es nur einen einzigen Grund, warum man einen Wein auswählt: weil er einem schmeckt. Es hat keinen Sinn, ein bestimmtes Erzeugnis zu kaufen, nur weil jemand anders es mag. Wein ist Genuss und keine Prüfung.
Wein und Speisen
Weil die meisten von uns die Entscheidung für einen Wein von dem dazu gereichten Gericht abhängig machen, sollten wir uns zunächst mit dem Essen befassen. Auf den Tisch kommt für gewöhnlich, was sich im Kühlschrank oder auf der Speisekarte findet. Anschließend wird man auf die alte Regel »Rotwein zu rotem Fleisch, Weißwein zu weißem Fleisch oder Fisch« zurückgreifen. Aber hat sie noch Gültigkeit? Ja und nein. Sie stammt aus einer Zeit, in der Einfacheres und Vorhersehbareres auf den Tisch kam. Zu Rinderbraten gab es Fleischsoße, Hähnchen wurde gebraten oder gegrillt, Fisch schwamm in Sahne oder wurde gebraten und mit Zitronensaft serviert. Sicher, ganz so simpel war der Speiseplan unserer Großeltern nicht, aber auf jeden Fall gab es weit weniger Geschmacksnuancen und Zutaten als heute. Huhn kann heute thailändisch, indisch oder chinesisch zubereitet sein. Das Lammrezept stammt aus Marokko oder Spanien. Wir dürfen uns zwischen Tapas oder Sushi entscheiden. Omas Faustregel hilft vielleicht, die Finger von einem Shiraz aus dem Barossa Valley zu lassen, wenn man rohen Fisch auf dem Teller hat. Wenn jedoch eine genauere Feinabstimmung gefragt ist, sollte man sich vom eigenen Gaumen leiten lassen – und nicht von der Großmutter.
Aber nicht nur das Essen hat sich verändert, auch der Wein ist ein anderer geworden. Die Tannine großer Rotweine, die man nur dank mächtiger Fleischbrocken ertrug, wurden gezähmt. Sie geraten heute oft so seidig, dass man sie getrost mit Gemüse oder indischen und koreanischen Speisen kombinieren kann. Fruchtnoten spielen inzwischen eine wesentlich größere Rolle als vor einem Vierteljahrhundert. Weißweine sind aromatischer als einst. Der Alkoholgrad liegt höher als noch vor zehn Jahren, der Säuregehalt dagegen eher niedriger. Zudem kann man Weine jünger trinken als früher. Das Lagern ist eine Option, aber keine Notwendigkeit mehr.
Was also tun? Ganz einfach: Sehen Sie Wein als eine von vielen Zutaten eines Ganzen. Wenn Sie Lamm servieren, ein Fleisch mit delikatem Geschmack, dann sehen Sie auf die Beilagen. Gibt es weiße Bohnen oder Pesto dazu, gedünstetes Gemüse oder Kartoffelgratin, Knoblauch oder Rosmarin, schwarze Oliven, Kreuzkümmel, Minze oder Zitronensaft nach griechischer Art? Alle passen zu Lamm und auch zu Wein, doch instinktiv werden wir zum Gratin oder zu den weißen Bohnen eher einen größeren, reichhaltigeren Roten nehmen. Warum? Weil deren Stärke sich auf die Geschmacksnerven legt. Das verlangt nach mehr Tannin und Säure. Schwarze Oliven nehmen es mit jungen, tanninhaltigen Rotweinen
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