Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
Methode vorgeht.
Aussehen ist sehr viel mehr als nur Farbe. Guter Wein ist von funkelnder Klarheit. Durch das Dekantieren stellt man sicher, dass auch ein alter Wein mit Depot glänzt wie ein Edelstein und das Licht mit einer solchen Intensität reflektiert, dass es schon ein Vergnügen ist, ihn nur zu betrachten. Je nach seiner Viskosität hinterlässt der Wein, wenn man das Glas schwenkt, schwere, langsam zurückrinnende »Tränen« an der Glaswand oder bildet wie Wasser sofort wieder eine ebene Fläche. Je dicker er ist, desto mehr Geschmacks- und Extraktstoffe beziehungsweise Zucker enthält er – was an sich weder gut noch schlecht ist, sondern nur dem jeweiligen Wein angemessen sein muss. Kristallablagerungen in Weißwein sind kein Zeichen für schlechte Qualität, sondern etwas ganz Natürliches und unter keinen Umständen ein Fehler.
»Die Farbe«, ich zitiere Emile Peynaud, »ist gewissermaßen das Gesicht des Weins. Sie verrät viel über sein Alter und einiges über seinen Charakter.« Dazu braucht man allerdings noch weitere Informationen, die einem bald der Geruch liefert. Am besten erkennt man die Farbe, wenn man das Glas vor einen weißen Hintergrund – etwa ein Stück Papier – hält und es ein wenig von sich weg neigt, sodass man durch den Rand der Flüssigkeit schaut. In Teilen Frankreichs, vor allem in Burgund, wo der Wein in dunklen Kellern lagert, verwendet man flache Silberschalen als Probiergefäße, weil man vor dem reflektierenden Hintergrund die Farbe besser beurteilen kann.
Weißwein wird im Alter dunkler; Rotwein verblasst langsam von purpurfarben über rot zu rotbraun (was man auch durch das grüne Glas der Flasche sehen kann, wenn man den Hals gegen das Licht hält). Bei jungen Weinen ist die Farbe im Glas von Rand zu Rand fast gleichmäßig. Bei älteren Weinen ist der Rand meist deutlich heller. Ein bräunlicher Rand ist bei Rotwein ein sicheres Zeichen für Reife.
Im Allgemeinen haben Weine von guten Rebsorten aus heißen Gegenden, etwa Cabernet und Syrah aus Australien, Kalifornien und Südafrika, eine intensivere Farbe als ihre Pendants aus kühleren Gefilden. Vintage Port ist dunkelpurpurrot, Ruby Port hat eine viel hellere, wässrigere Farbe und Tawny Port, der viele Jahre lang in Holzfässern reift, liegt irgendwo zwischen dem Braunrot von altem Bordeaux und einem klaren, hellen Bernsteinton, wenn er sehr alt ist – das extremste Beispiel dafür, dass Rotwein im Alter verblasst.
Bei Weißwein ist die Vielfalt kaum geringer. Chablis hat einen grünen Schimmer in seiner hellgoldgelben Farbe, was bei anderen weißen Burgundern ungewöhnlich ist. Auch Moselwein zeigt einen Anflug von Grün, aber weniger Gold, während Rheinwein eher strohgelb ist, alte Süßweine sogar fast orange. Sherry erhält seine Farbe durch die Oxidation: Bei jungen Finos ist sie noch schwach, alte Olorosos sind mahagonibraun. Wenn großer süßer Sauternes alt wird, nimmt er nacheinander alle Schattierungen von Gold bis hin zu einem satten Goldbraun an.
DAS VERKOSTEN
Um Wein richtig genießen zu können, muss man wissen, dass Schmecken und Riechen eng zusammenhängen: Für die Unterscheidung von Geschmacksnuancen sind die Geruchsnerven zuständig, nicht die Zunge, die Lippen oder der Gaumen. Der Mund erkennt, ob etwas süß, sauer, salzig, bitter, scharf, mild, ölig oder adstringierend ist. Geschmacksfärbung und -charakter aber liegen in den flüchtigen Bestandteilen, die allein durch die Nase wahrgenommen werden. So dreht sich beim Verkosten alles um das Schnuppern. Der erste Atemzug ist entscheidend, weil die Intensität der Geruchsempfindungen schnell nachlässt.
Die Nase schmeckt mit
Man muss sich nur einmal beim Trinken die Nase zuhalten, um zu merken, dass sie den größten Teil zu den Geschmacksempfindungen beiträgt. Leider ist der Geruchssinn der unzuverlässigste und unbeständigste unserer Sinne. Während der Geschmackssinn wie Gehör und Auge ständig hellwach ist, ermüdet der Geruchssinn schnell: Wenn man mehr als fünfmal kurz hintereinander an einem Glas Wein riecht, lässt die Empfindung nach; die Nase braucht einen neuen Reiz. Deshalb verlassen sich Verkoster in hohem Maße auf ihren ersten Eindruck. Sie schwenken den Wein ein- oder zweimal, sodass er die Wände des Glases benetzt und so viele Duftstoffe wie möglich freigesetzt werden.
Der Geruch ist auch das erste Alarmsignal, wenn etwas mit dem Wein nicht stimmt: eine Spur Essig, die scharfe Note von zu viel Schwefel oder
Weitere Kostenlose Bücher