Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
der schimmelige Geruch eines morschen Korkens oder eines verunreinigten Fasses. Die meisten Weine haben einen mehr oder weniger angenehmen, aber einfachen Geruch nach Trauben und Gärung, manchmal auch Holz, den man allgemein als »weinig« bezeichnet. Je besser ein Wein ist, desto markanter sein Duft und desto verlockender, ein zweites Mal an ihm zu schnuppern.
Jetzt machen sich auch bestimmte Rebsorten bemerkbar. Die acht »Klassiker« drücken dem Geruch eines Weins alle einen unverkennbaren Stempel auf. Mit dem Alter wandelt sich dieser Primärgeruch, den Verkoster Aroma nennen, zu einem komplexeren, weniger genau definierbaren, angenehmeren »Bouquet« oder »Bukett«.
Es ist das Wesen eines feinen Dufts, dass man ihn nicht dingfest machen kann. Er scheint immer in Bewegung, wandelt sich etwa von Zedernholz zu Wachs, zu Honig, zu Wildblumen, zu Pilzen. Reifer Riesling kann zum Beispiel nach Zitronen und nach Benzin riechen, Gewürztraminer nach Grapefruit, Chardonnay nach Butter.
Bis das Glas die Lippen berührt, sind also die meisten Fragen zum Wein schon beantwortet oder man hat zumindest erste Hinweise auf seine Qualität, sein Alter, die Rebsorten (und dadurch vielleicht auch seinen Ursprung) bekommen. Wenn alles gut geht, bestätigt der Geschmack den Geruch wie ein Orchester, das das Motiv eines Solisten aufnimmt und es mit dem Klang, den Tönen unterlegt, die noch fehlten. Erst in diesem Stadium kann man die Harmonie zwischen Süße und Säure beurteilen, die Stärke des Alkohols und ob er das nötige Gegengewicht durch intensiv fruchtige Geschmacksnoten erhält, sowie die Menge und Qualität der Tannine.
Bei jedem Wein treten diese Elemente in einer bestimmten Kombination auf; seine Qualität wird danach beurteilt, ob die Elemente auf angenehme und für die jeweilige Art von Wein typische Weise harmonieren – wobei typisch vor angenehm kommt. Ein junger Rotwein kann unangenehm gerbstoffhaltig und adstringierend sein; ausschlaggebend für das Urteil des Verkosters ist die latente Fruchtigkeit, die später mit den Tanninen zusammenwirkt.
Die einzelnen Geschmackselemente werden an verschiedenen Stellen im Mund wahrgenommen. Weil die Zungenspitze Süße erkennt, ist Süße der erste Geschmackseindruck. Sauer und salzig schmeckt man an den Zungenrändern und am Gaumen, bitter am Zungengrund. In der gleichen Reihenfolge klingen die Geschmacksempfindungen wieder ab: süß schon nach etwa zwei Sekunden, salzig und sauer etwas später. Der bittere Geschmack, den man als Letztes wahrnimmt, hält an – eine Eigenschaft, die man in Italien schätzt: Viele italienische Rotweine (zum Beispiel Valpolicella) haben einen leicht bitteren Nachgeschmack.
Viele (nicht alle) der chemischen Stoffe, die diese Empfindungen hervorrufen, können wissenschaftlich nachgewiesen werden; in Wein hat man bis jetzt über 400 gefunden. Aber ihre Wahrnehmung ist bei jedem Menschen anders. Es mag Verkoster geben, die vergleichbar mit dem Gehörsinn eines Musikers einen »absoluten Geschmackssinn« besitzen, aber die meisten Menschen haben gewisse »blinde Flecken«: Wer drei Löffel Zucker in seinen Kaffee gibt, hat wohl eine hohe Wahrnehmungsschwelle für die Süße.
Süß, sauer, salzig und bitter können die Vielfalt der Empfindungen, die sich im Mund entfalten, jedoch nur ansatzweise beschreiben. Am intensivsten ist der Geschmack, wenn der Wein den weichen Gaumen erreicht und man zu schlucken beginnt. Bei einer professionellen Verkostung, bei der man den Wein ausspucken muss, um einen klaren Kopf zu bewahren, kann man diesen Moment bewusst auskosten, indem man eine kleine Menge Wein ganz hinten im Mund behält und durch die leicht geöffneten Lippen einatmet. Die Grimasse, die man dabei schneidet, und das gurgelnde Geräusch sind ein geringer Preis für die erhöhte Geschmackskonzentration.
Rotwein enthält eine gewisse Menge an Tanninen, an Gerbstoffen also, die auch bei der Herstellung von Leder verwendet werden. Sehr tanninreicher Wein ist so adstringierend (wie Walnüsse oder Schlehen), dass sich der Mund »pelzig« anfühlt und man kaum noch etwas schmeckt. Auch der Geschmack von Tannin ist unterschiedlich; er reicht von vollreifer, angenehmer Herbheit über die den Mund zusammenziehende Strenge von Eichenholz bis zu unreifer, grüner Härte.
Die Säure im Wein kann streng bis angenehm anregend sein, nicht nur in der Konzentration oder der Stärke (die sich im pH-Wert ausdrückt), sondern auch im Geschmack. Im Wein sorgen
Weitere Kostenlose Bücher