Der große Schlaf
verhältnismäßig ehrliche Augen, und sein Kinn eckte bestimmt nicht an, bevor er die Ecke sah.
Vivian Regan langte in ihre Tasche nach einem Päckchen Zigaretten und schüttelte zwei locker ganz wie ein Mann. Sie hielt sie mir hin.
»Sie dürfen hier laut Gesetz keinen Alkohol trinken«, sagte der Angestellte.
Ich zündete unsere Zigaretten an und beachtete ihn nicht. Er zapfte zwei Tassen Kaffee aus einer fleckigen Kaffeemaschine und stellte sie vor uns hin. Er blickte auf die Flasche Roggen, brummte vor sich hin und grummelte: »Na schön, ich guck auf die Straße, während Sie eingießen.«
Er ging und stellte sich ans Schaufenster, kehrte uns den Rücken und ließ die Ohren hängen.
»Mir rutscht das Herz in die Hosen, wenn ich sowas tue«, sagte ich und schraubte die Kappe von der Whiskyflasche und gab dem Kaffee seine Ladung. »In dieser Stadt wird nämlich mächtig auf Gesetz und Ordnung gehalten. Während der ganzen Prohibition ist Eddie MarsĹaden ein Nachtclub gewesen, und in der Halle mußten Nacht für Nacht zwei Mann in Uniform Wache schieben und aufpassen, daß die Gäste nicht ihren eigenen Schnaps mitbrachten, statt ihn im Haus zu kaufen.«
Der Angestellte wandte sich plötzlich um und ging hinter den Tresen zurück und hinein hinter das kleine Glasfenster des Arzneiraumes.
Wir schlürften unseren Kaffee mit Schuß. Ich sah Vivians Gesicht im Spiegel hinter der Kaffeemaschine. Es war angespannt, bleich, schön und wild. Ihre Lippen waren rot und verdrossen.
»Sie haben böse Augen«, sagte ich. »Was hat Eddie Mars gegen Sie?«
Sie blickte mich im Spiegel an. »Ich habe ihn heute abend beim Roulette um eine Menge erleichtert – mit Hilfe der fünf Riesen, die ich gestern von ihm geborgt habe und nicht mehr brauche.«
»Das könnte ihn schon sauer machen. Meinen Sie, er hat den Rippenbohrer hinter Ihnen hergeschickt?«
»Was ist ein Rippenbohrer?«
»Ein Typ mit Kanone.«
»Sind Sie ein Rippenbohrer?«
»Klar«, lachte ich. »Aber genaugenommen steht ein Rippenbohrer auf der falschen Seite des Zauns.«
»Ich frage mich oft, ob es eine falsche Seite gibt.«
»Wir kommen vom Thema ab. Was hat Eddie Mars gegen Sie?«
»Sie meinen, er hätte was gegen mich in der Hand?«
»Ja.«
Ihre Lippen kräuselten sich. »Bitte etwas geistreicher, Marlowe. Viel geistreicher.«
»Wie gehtś dem General? Ich habe nicht die Absicht, geistreich zu sein.«
»Nicht sehr gut. Er ist heute nicht aufgestanden. Sie könnten wenigstens aufhören, mich auszufragen.«
»Ich erinnere mich an die Zeit, als Sie es mit mir genauso machten. Wieviel weiß der General?«
»Wahrscheinlich weiß er alles.«
»Hatś Norris ihm erzählt?«
»Nein. Wilde, der Bezirksanwalt, war draußen und hat ihn besucht. Haben Sie die Bilder verbrannt?«
»Klar. Nicht wahr, Sie machen sich Sorgen um Ihre kleine Schwester – ab und zu.«
»Sie ist wohl der einzige Mensch, um den ich mir Sorgen mache. Ich mache mir aber auch gewissermaßen Sorgen um Dad, weil ich ihm Kummer ersparen möchte.«
»Er macht sich keine großen Illusionen«, sagte ich, »aber ich glaube, er hat immer noch seinen Stolz.«
»Wir sind sein Fleisch und Blut. Das ist der ganze Jammer.«
Sie starrte mich im Spiegel mit unergründlichen, fernen Augen an. »Ich will nicht, daß er im Sterben sein eigenes Fleisch und Blut verachtet. Es war immer wildes Blut, aber verdorben war es nicht immer.«
»Und wie istś jetzt?«
»Sie werden es sicher für verdorben halten.«
»Nicht Ihres. Sie spielen bloß Ihre Rolle.« Sie sah zu Boden.
Ich trank einen Schluck Kaffee und zündete uns neue Zigaretten an. »Sie schießen also auf Menschen«, sagte sie ruhig. »Sie sind ein Killer.«
»Ich? Wieso?«
»Die Presse und die Polizei haben alles hübsch
zurechtfrisiert, Aber ich glaube nicht alles, was ich lese.«
»Ah, Sie glauben, Geiger geht auf mein Konto – oder auch Brody – oder sogar beide zusammen.«
Sie sagte nichts.
»Ich brauchte das nicht zu tun«, sagte ich. »Ich hätte es womöglich getan und wäre damit durchgekommen, Keiner von beiden hätte lange gefackelt und ein Sieb aus mir gemacht.«
»Das heißt, Sie sind von ganzem Herzen ein Killer, wie alle Bullen.«
»Ach Stuß.«
»Einer von diesen brutalen, eiskalten Männern, die nicht mehr Gefühl haben als ein Metzger fürs Schlachtvieh. Ich wußte es, als ich Sie zum erstenmal sah.«
»Sie haben genug miese Freunde, um es besser zu wissen.«
»Die sind harmlos im Vergleich zu
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