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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Rücksitz lag, bis zum Kinn unter einer Decke vergraben, locker hingestreckt ein Mann und schnarchte mit offenem Mund. Es schien ein großer, blonder Kerl zu sein, der einen Stiefel vertragen konnte.
    »Darf ich Ihnen Mr. Larry Cobb vorstellen?« sagte Vivian.
    »Mr. Cobb – Mr. Marlowe.«
    Ich knurrte.
    »Mr. Cobb war mein Begleiter«, sagte sie. »So ein netter Begleiter, dieser Mr. Cobb. So aufmerksam. Sie müßten ihn mal nüchtern sehn. Ich müßte ihn mal nüchtern sehn. Man müßte ihn überhaupt mal nüchtern sehn. Nur so zu Studienzwecken, meine ich. Dann würde er noch in die Geschichte eingehen, dieser kurze lichte Moment, bald verschüttet von der Zeit, doch unvergeßlich – als Larry Cobb mal nüchtern war.«
    »Tja«, sagte ich.
    »Ich hab sogar schon dran gedacht, ihn zu heiraten«, fuhr sie mit hoher, angespannter Stimme fort, als wenn der Schock des Überfalls erst jetzt auf sie zu wirken begänne. »In trüben Stunden, wenn mir gar nichts Amüsantes einfallen wollte. Wir alle haben solche Anfälle. Zuviel Geld, verstehen Sie? Eine Jacht, ein Haus auf Long Island, ein Haus in Newport, ein Haus auf den Bermudas, lauter Häuser hier und dort und auf der ganzen Welt vermutlich – eins vom anderen nicht weiter entfernt als eine gute Flasche Scotch. Und für Mr. Cobb reicht eine Flasche Scotch nicht weit.«
    »Tja«, sagte ich. »Hat er einen Fahrer, der ihn heimschafft?«
    »Sagen Sie nicht immer ›tja‹. Das gehört sich nicht.« Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Der Mann im Kittel kaute mächtig an seiner Unterlippe. »Oh, zweifellos eine ganze Kompanie von Fahrern. Sie ziehen sicher jeden Morgen vor der Garage auf, mit glänzenden Köpfen, makellos weißen Handschuhen und schimmernder Wehr – zackig wie ein Kadettenkorps.«
    »Na, wo, zum Teufel, ist dann der Fahrer?« fragte ich.
    »Heut abend isser selber gefahren«, sagte der Mann im Kittel fast entschuldigend. »Ich kann ja bei ihm anrufen, daß ihn einer holen kommt.«
    Vivian drehte sich zu ihm um und lächelte, als hätte er ihr eben ein Diamantendiadem überreicht. »Das wäre reizend«, sagte sie. »Würden Sie das wirklich tun? Ich kann Mr. Cobb einfach nicht so sterben sehn – so mit offenem Mund. Man müßte ja glauben, er sei verdurstet.«
    Der Mann im Kittel sagte: »Aber nich, wenn man an ihm schnuppert, Miss.«
    Sie öffnete ihre Tasche und holte eine Handvoll Papiergeld heraus und stopfte es ihm in die Faust. »Sie werden sich bestimmt um ihn kümmern, nicht wahr?«
    »Heiland«, sagte der Mann und machte Stielaugen. »Tu ich glatt, Miss.«
    »Ich heiße Regan«, säuselte sie. »Mrs. Regan. Sie werden mich wahrscheinlich wiedersehen. Sie sind noch nicht lange hier, oder?«
    »Nö, Madame.« Seine Finger machten spasmische Sachen mit dem Geld, das er in der Faust hielt.
    »Hier wird es Ihnen wunderbar gefallen«, sagte sie. Sie ergriff meinen Arm. »Wir nehmen Ihren Wagen, Marlowe.«
    »Er steht draußen auf der Straße.«
    »Soll mir recht sein, Marlowe. Ich liebe so einen kleinen Spaziergang im Nebel. Man trifft dabei so interessante Leute.«
    »Ach, Stuß«, sagte ich.
    Sie umklammerte meinen Arm und fing an zu zittern. Den ganzen Weg bis zum Wagen hielt sie mich fest. Sie zitterte nicht mehr, als wir ihn erreicht hatten. Ich fuhr an der fensterlosen Seite des Hauses vorbei eine gewundene Allee hinab. Die Allee mündete in den De Cazens Boulevard, die Hauptstraße von Las Olindas. Wir fuhren unter alten, flimmernden Bogenlampen dahin, und nach einer Weile kam eine Stadt, mit Gebäuden, tot aussehenden Läden, einer Tankstelle mit einem Licht über der Nachtglocke und schließlich einem Drugstore, der noch aufhatte.
    »Sie sollten einen Schluck trinken«, sagte ich. Sie bewegte ihr Kinn, eine Spitze von Blässe in der Ecke des Sitzes. Ich fuhr quer auf den Randstreifen und parkte. »Ein Schluck schwarzer Kaffee mit ńem Schuß Roggen wäre das Wahre.«
    »Ich könnte mich besaufen wie zwei Seelords, und das mit Hochgenuß.«
    Ich hielt ihr die Tür auf, und sie stieg dicht neben mir aus und streifte mit ihrem Haar meine Wange. Wir traten in den Drugstore. Ich kaufte am Spirituosen-Stand eine halbe Flasche Roggen und trug sie rüber zu den Hockern und stellte sie auf den rissigen Marmortresen.
    »Zwei Kaffee«, sagte ich. »Schwarz, stark und nicht von gestern.«
    »Sie dürfen hier keinen Alkohol trinken«, sagte der Angestellte. Er trug einen ausgewaschenen, blauen Kittel, hatte ziemlich dünnes Haar und

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