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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Ihnen.«
    »Vielen Dank, Gnädigste. Sie sind auch nicht grad ein Unschuldslamm.«
    »Auf, wir wollen raus aus diesem stinkigen, kleinen Drecknest.« Ich zahlte die Rechnung, verstaute die Flasche Roggen in meiner Tasche, und wir gingen. Der Angestellte war mir immer noch nicht grün.
    Wir verließen Las Olindas und fuhren durch eine Reihe feuchter Küstenstädtchen mit Bruchbuden von Häusern, die strandabwärts bis hin zum Rauschen der Brandung gebaut waren, und mit größeren Häusern auf den Hügeln landein. Hier und da schien gelb ein Fenster, aber die meisten Häuser waren dunkel. Der Geruch des Tangs kam vom Wasser herein und legte sich auf den Nebel. Die Reifen sangen auf dem feuchten Asphalt des Boulevards. Die Welt war naß und leer.
    Wir waren dicht vor Del Rey, als sie das erste Wort zu mir sprach, seit wir den Drugstore verlassen hatten. Ihre Stimme klang halb erstickt, als ob tief darunter etwas pochte. »Fahren Sie hinunter zum Strandclub von Del Rey. Ich will das Meer sehen. Es ist die nächste Straße links.« An der Kreuzung war ein gelbes Blinklicht. Ich wendete den Wagen und glitt hügelab, eine hohe Steilwand zur einen Seite und Eisenbahnschienen zur Rechten, und weit hinter den Gleisen glänzten von unten herauf vereinzelte Lichter und dann sehr weit weg die Lichter vom Pier und der matte Schein am Himmel über einer Stadt. Hier war der Nebel fast verschwunden. Die Straße kreuzte die Schienen, die in einer Biegung weiter am Steilhang entlangliefen, und erreichte dann ein Stück gepflasterter Uferstraße, die einen freien und leeren Strand begrenzte. Den Bordstein entlang parkten Wagen im Dunkel mit Front zum Meer. Die Lichter des Strandclubs waren ein paar hundert Meter entfernt.
    Ich bremste den Wagen gegen den Randstein und schaltete die Scheinwerfer aus und blieb mit den Händen am Steuerrad sitzen. Unter dem dünner werdenden Nebel rollte und schäumte die Brandung, fast lautlos, wie ein Gedanke, der sich am Rand des Bewußtseins formen will. »Rück näher«, sagte sie fast heiser.
    Ich glitt unter dem Steuer weg zur Mitte des Sitzes. Sie wandte ihren Körper etwas von mir ab, als wollte sie aus dem Fenster sehen. Dann ließ sie sich zurückfallen, lautlos, in meine Arme. Ihr Kopf schlug fast aufs Steuer. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichtszüge undeutlich. Dann sah ich, daß ihre Augen sich öffneten und flackerten, ihr Schimmer war sogar im Dunkel sichtbar.
    »Halt mich fest, du Hund«, sagte sie.
    Ich legte meine Arme um sie, erst locker. Ihr Haar strich rauh gegen mein Gesicht. Ich drückte sie fester an mich und zog sie hoch. Ich brachte ihr Gesicht langsam empor an das meine. Ihre Augenlider flatterten hastig wie Mottenflügel. Ich küßte sie fest und schnell. Dann ein langsamer, langer, saugender Kuß. Ihre Lippen öffneten sich unter meinen. Ihr Körper begann in meinen Armen zu zittern. »Killer«, sagte sie weich; ihr Atem hauchte in meinen Mund.
    Ich preßte sie an mich, bis das Zittern ihres Körpers fast meinen eigenen erschauern ließ. Ich küßte sie weiter. Nach langer Zeit zog sie ihren Kopf so weit weg, daß sie sagen konnte: »Wo wohnst du?«
    »Hobart Arms. Franklin, bei der Kenmore.«
    »Kenn ich nicht.«
    »Wollen Sie?«
    »Ja.«
    »Was hat Eddie Mars gegen Sie in der Hand?« Ihr Körper erstarrte in meinen Armen, und ihr Atem klang rauh. Sie zog den Kopf zurück, bis ihre Augen, weit offen, weiß schimmernd, mich anstarrten.
    »So ist das also«, sagte sie mit sanfter, matter Stimme.
    »So ist es. Küssen macht Spaß, aber Ihr Vater hat mich nicht angeheuert, damit ich mit Ihnen schlafe.«
    »Du Saukerl«, sagte sie ruhig, ohne sich zu rühren. Ich lachte ihr ins Gesicht.
    »Glauben Sie nicht, daß ich ein Eiszapfen bin«, sagte ich.
    »Ich bin nicht blind oder ohne Gefühle. Ich habe genauso warmes Blut wie jeder andere. Sie sind verdammt leicht zu haben – viel zu leicht. Was hat Eddie Mars gegen Sie in der Hand?«
    »Wenn du das noch einmal sagst, fang ich an zu schreien.«
    »Dann schreien Sie mal los.«
    Sie rückte weg und setzte sich aufrecht weitab in die Wagenecke.
    »Wegen solcher Kleinigkeiten ist schon mancher Mann umgelegt worden, Marlowe.«
    »Mancher Mann wird wegen nichts und wieder nichts umgelegt. Als wir uns zum erstenmal sahen, habe ich Ihnen gesagt, daß ich Detektiv bin. Aber das will Ihnen nicht in den hübschen Kopf. Für mich ist das Arbeit, Gnädigste, kein Zeitvertreib.«
    Sie fummelte in ihrer Tasche und holte ein Taschentuch

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