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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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heraus und biß darauf herum, den Kopf von mir abgewandt. Ich hörte, wie das Taschentuch zerriß. Sie zerriß es mit ihren Zähnen, langsam, Streifen um Streifen.
    »Warum glauben Sie, daß er etwas gegen mich in der Hand hat?« flüsterte sie; ihre Stimme klang gedämpft durchs Taschentuch.
    »Erst läßt er Sie eine Menge Geld gewinnen, dann schickt er ńen Schießhund los, derś ihm wieder holt. Sie sind allenfalls mäßig überrascht. Sie haben nicht mal Dankeschön gesagt, daß ichś Ihnen gerettet habe. Wenn Sie mich fragen, so war das Ganze nichts als Schau. Wenn ich mir schmeicheln wollte, so würde ich sagen, daß ich wenigstens zum Teil davon profitiert habe.«
    »Sie glauben, er kann gewinnen oder verlieren, wie es ihm paßt.«
    »Klar. Bei einfachen Einsätzen viermal bei fünf Spielen.«
    »Muß ich Ihnen sagen, wie sehr Sie mich ankotzen, Herr Detektiv?«
    »Meinetwegen müssen Sie überhaupt nichts. Ich bin bereits ausgezahlt.«
    Sie warf ihr zerfetztes Taschentuch aus dem Wagenfenster.
    »Sie haben eine reizende Art, mit Frauen umzugehen.«
    »Ich mag Sie gern küssen.«
    »Den Kopf haben Sie dabei nicht verloren. Das ist sehr schmeichelhaft. Soll ich Ihnen gratulieren oder meinem Vater?«
    »Ich mag Sie gern küssen.«
    Ihre Stimme dehnte sich hochmütig. »Bringen Sie mich weg von hier, wenn Sie so freundlich sein wollen. Ich glaube, ich möchte jetzt einfach nach Hause.«
    »Wollen wir nicht immer gute Freunde bleiben?«
    »Wenn ich ein Rasiermesser hätte, würde ich Ihnen die Gurgel durchschneiden und sehen, was rausläuft.«
    »Hoch- und Gabelstaplerblut«, sagte ich.
    Ich startete den Wagen und wendete und fuhr zurück über die Eisenbahngleise zur Autostraße und weiter zur Stadt und hinauf nach West Hollywood. Sie sprach nicht mit mir. Sie bewegte sich kaum während der ganzen Rückfahrt. Ich fuhr durchs Tor und die vertiefte Auffahrt hinauf zum Portal des großen Hauses. Sie stieß die Wagentür auf und war draußen, bevor noch der Wagen richtig hielt. Selbst dann sagte sie nichts. Ich betrachtete ihren Rücken, wie sie vor der Tür stand, nachdem sie geläutet hatte. Die Tür ging auf, und Norris sah heraus. Sie drängte sich schnell an ihm vorbei und war weg.
    Die Tür knallte zu, und ich saß da und blickte sie an. Ich wendete und fuhr die Auffahrt hinunter und heim.

24
    Die Halle des Apartmenthauses war diesmal leer. Kein Waffenträger wartete unter der Topfpalme, um mir Befehle zu geben. Ich fuhr im automatischen Aufzug zu meiner Etage hinauf und ging beim gedämpften Radioklang hinter einer Tür den Korridor entlang. Ich brauchte etwas zu trinken und brauchte es schnell. Ich knipste im Zimmer kein Licht an. Ich ging direkt auf meine kleine Küche zu und stutzte nach drei oder vier Schritten. Irgend etwas stimmte nicht. Irgend etwas in der Luft, ein Hauch. Die Jalousien an den Fenstern waren heruntergelassen, und das Straßenlicht, das an den Seiten hereinsickerte, brachte Schummrigkeit ins Zimmer. Ich stand still und lauschte. Der Hauch in der Luft war ein Parfüm, ein schweres, aufdringliches Parfüm.
    Ich hörte nichts, nicht das leiseste Geräusch. Dann gewöhnten sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit, und ich sah über den Raum hinweg etwas vor mir, das da nicht hingehörte. Ich trat zurück, langte mit dem Daumen nach dem Schalter und knipste Licht an.
    Das Bett war heruntergelassen. Etwas in ihm kicherte. Ein blonder Kopf war in mein Kissen gedrückt. Zwei nackte Arme bogen sich empor, und die dazugehörigen Hände waren über dem blonden Kopf verschränkt. Carmen Sternwood lag auf dem Rücken, in meinem Bett, und kicherte mir entgegen. Die lohfarbene Flut ihres Haars war über das Kissen ausgebreitet wie von einer sorgsamen, erfahrenen Hand. Ihre schiefergrauen Augen linsten mich an und visierten mich wie üblich – wie über einen Gewehrlauf. Sie lächelte. Ihre kleinen, scharfen Zähne glitzerten.
    »Bin ich nicht süß?« sagte sie.
    Ich sagte grob: »Süß wie ein Filipino am Wochenende.« Ich ging zur Stehlampe und zog die Kordel, knipste dann die Deckenbeleuchtung aus und ging zurück durchs Zimmer zum Schachbrett auf dem Kartentisch unter der Lampe. Auf dem Brett war eine Partie aufgestellt. Matt in sechs Zügen. Ich konnte sie nicht lösen, wie so viele meiner Probleme. Ich beugte mich nieder und bewegte einen Springer, legte dann Hut und Mantel ab und warf sie irgendwohin. Währenddessen klang immerzu das leise Kichern aus dem Bett, jenes Geräusch, das mich

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