Der große Stier
ein Bewußtsein?«
»Hab ich dir gesagt, de roten Leute sin’ eher weggegang’n. Se war’n was Besondres, se hatt’n ne geheime Art, alles zu mach’n. Weißte, wie se de Pyramiden gebaut ha’m? Alle de schwer’n Steine gehob’n? Mit Schall! Redst mal mit Magdelaine drüber, ihre Leute war’n alles rote Leute.«
»Dann läuft es also darauf hinaus, daß die Weißen vor schwarzem Sex Angst hatten.«
»Un’ wie! Da is de große Ausgrabung im Boden, drüb’n in England heißt se ›Der Riese von Cerne Abbas‹. Zeigt den Kerl mit ’ner Keule in der Hand, un er steht mit sein’m aufgerichteten Ding da. Hu! De weiß’n Leute war’n bange! Aber im dritt’n Akt is’ Iliyu nich’ mehr bange, nachdem er lernt, daß er mit jeder Frau verheiratet is’, un’ jede Frau is verheirat’ mit jed’n Mann.«
»Klingt wie eine große Familie.«
»Keine Familjen nich’ mehr, Baby, das is’ die ganze Idee. Vielleich’ gehn wer jetzt gleich das Ganze noch mal durch. Fast keiner heirat’ nich’ mehr, wenigstens bleib’n se nich’ verheirat’. Stier sagt, ganz bald wer’n de Leute Kinder mach’n könn’, ohne zusamm’ ins Bett zu gehn un’ ohne daß de Frau in andre Umstände kommt. Kinder wer’n außen geborn. Da müss’n de Leute lern’n schöpferisch zu sein, wenn se miteinander schlafen, un’ nich’ mehr mit ’n schlecht’n Gewiss’n, daß se keine Kinder machen dabei. Das is’ in’n dritt’n Akt, Baby, ’ne richtige Seelenvermischun’ von all’n Leuten mit verschiedner Farbe. Glaub mir, Baby, ’s wird passier’n …
Winnie bestand darauf, daß sie morgens den Western Airlines Kommuterflug 741 nähmen. Auf dem Weg zum Flugplatz sagte sie kaum etwas, und gleich nach dem Start schlief sie ein.
In der Tasche hinter dem Sitz vor ihm fand Paul zwischen einer Karte mit den Sicherheitsregeln und dem papiernen Speibeutel eine Ausgabe von Time . Auf dem Titelblatt war ein Foto des Gouverneurs zu sehen, und das Magazin war hauptsächlich den Prognosen für die Präsidentenwahl 1980 gewidmet. In dem als »Modernes Leben« bezeichneten Teil stand ein Artikel über Stiermusik.
S TIERMUSIK – D AS E CHO VON MORGEN
Zuerst war es Elvis, der zu einer elektrischen Gitarre mit Stahlsaiten die Hüften schwang. Dann kamen die Beatles, und »Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band« gab der Bezeichnung »langes Haar« eine neue Bedeutung. Ganz Amerika hatte Flausen im Kopf mit elektronischem Schall, aufblitzenden Lichtern und den bizarren Riten der psychedelischen Ära.
Aber all das waren nur die ersten Lüftchen des Sturmes, der vom Norden herunterblasen sollte.
Es hat keinen Monat gedauert, bis Stiermusik eine nationale Einrichtung wurde und für Teenager fast eine Religion.
Der Rock’n Roll ist tot. Es lebe Stier!
Wie dauerhaft ist diese Revolution in Tönen? Die Zyniker der älteren Generation meinen, sie sei kurzlebig und werde bald ebenso in Vergessenheit geraten wie Boogie-Woogie, wie der Twist, die Folk-Welle und der Rock’n Roll. Sie warnen vor ihrem Einfluß auf Jugendliche, ja manche bezeichnen Stiermusik sogar als ein Narkotikum.
Tatsächlich ist an der Westküste berichtet worden, daß Teenager angefangen haben, sich mit Drogen »anzutörnen«, die so mysteriös sind wie diese Musik.
Doch solche Stimmen verlieren sich in den Tönen und der Raserei, die der »Wundermann des Nordens« hervorgerufen hat. Amerika schwingt sich im Stiertanz, und die meisten Eltern wetteifern mit ihren Kindern, um auf der Tanzfläche Platz zu finden.
Vor einigen Jahren erklärte uns ein anderer Kanadier, Marshall McLuhan, unsere Gesellschaft befinde sich mitten in einer Revolution des Fühlens. Wegen des Fernsehens und anderer elektronischer Medien, sagte er, wiesen wir lineare Formen der Erfahrung zurück zugunsten einer unmittelbaren, totalen Erfahrung.
Doch wenn wir gestern gefühlt haben – heute hören wir. Und, Mr. Stier, wo Sie auch sein mögen, wir schenken nur Ihnen Gehör.
»Hätten Sie gern einen Kaffee?«
Paul sah zu der Stewardeß auf.
»Fast hätte ich Sie beide hier hinten übersehen«, sagte sie.
»Sicherster Platz bei einem Absturz.«
»Ich glaube, darum brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.« Sie lächelte und steckte eine Strähne silberblonden Haars unter ihre Kappe. »Schläft sie?«
»Ja.«
»Winnie macht das immer so …«
Paul klappte die Zeitschrift zu. »Sie kennen sich?«
»Ja. Ich heiße Terhikki. Und Sie sind Paul
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