Der große Stier
steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, ohne sie anzuzünden, und fing an, einen kleinen Kreis in der Mitte des Raumes abzuschreiten. »Stier ist nicht hier, weil er nie vorgehabt hat zu kommen, stimmt’s? Und du trägst Weiß, weil er das gern hat, stimmt’s? Du wirst mir was über den dritten Akt von Iliyu sagen, und du wirst mich dazu auffordern, daß ich mich hinsetze und zu verstehen versuche; und wenn ich’s nicht verstehe, wirst du mich an weißem Lehm riechen lassen.«
»Immer die Ruhe bewahr’n, Junge.« Winnie beugte ihre Schultern vor, ging grotesk wie eine Ente zum Bett und setzte sich.
»Ich hatte erwartet, daß ich ihn antreffen würde.«
»Selig sind die, die glauben un nich gesehn wer den!« Sie lachte und fing an, in die Hände zu klatschen. »Frollein, Frollein!«
»Verarschst du dich gern selbst?«
»Was meinste?«
»Ich warte gerade darauf, daß du mir ein Brathühnchen und eine Wassermelone anbietest!«
Winnie kicherte und lehnte sich zurück auf die Ellenbogen. »Baby, jetzt weiß ich, warum er dich ausgesucht hat!«
Paul zerbröckelte die Zigarette zwischen den Fin gern und warf sie in den Kamin. »Nur damit es gerecht ist, Winnie, ich denke, du sagst mir, warum Stier dich ausgesucht hat?«
»Bei dir führt der Kopf, sicher.«
»Wirklich, ich möchte es gern wissen. Wie bist du mit der Oper in Verbindung gekommen? Und mit Stier?«
»Er hat mich ausgesucht, das is alles.«
»Was warst du vorher? Ich meine, ehe du in der Oper getanzt hast?«
»Beste Matratze vonner Hunnertdritten Straße.« Sie zog die Knie bis ans Kinn hoch und fing an, oben an ihren Shorts zu zerren.
»Für Geld?«
»Das kannste wohl annehmen.«
»O. K. Ich gebe auf. Es wäre enttäuschend, wenn irgendwas jetzt einen Sinn gäbe.« Paul lehnte sich gegen den Kamin zurück. »Ziehst du dich aus?«
»So schnell wie’s geht …«
»Für den dritten Akt?«
»Mmh.«
»Ich muß gestehen«, meinte Paul und griff wieder nach seinem Taschentuch, »daß ich etwas weißen Lehm brauchen könnte.«
»Kein weißer Lehm diesmal, Baby …« Winnie beugte sich vor und fing an, ihren Büstenhalter aufzuhaken. »Du un’ ich ha’m ganz allein ’n Adventus, gleich.«
Er fühlte die kühle Haut ihrer Beine an seinen eige nen, und er konnte in der Dunkelheit ihre weißen Zäh ne sehen, wenn sie redete.
»Un’ als er Lehm entdeckt hat, fängt Iliyu an, über Sachen anders zu denken. Wie er gelebt vorher hat, irgendwo, viel früher. Un’ er is ganz durcheinander, weil er seine Partnerin sucht, un’ jede die er findet, scheint nicht die Richtige zu sein. So geht er wieder hin, wo alles angefangen hat, zu den vier Flüssen. Da war’n Weiße aus Urpurt, Kaiin, Sigrix, Shalbir un’ Quest, oben im Norden von Ruta.«
»Wo, Winnie, war diese Stelle?«
»Zwischen England – hieß damals Lyonesse – un’ den Vereinigten Staaten von Amerika.«
»Atlantis …«
»Stier sagt, wir wern’s bald sehn können, ’s wird wieder aus dem Meer raufkomm’n. Jedenfalls, sinta bloß noch weiße Leute, die roten sin’ schon gegangen nach Mexiko un’ Ägypten. Drum sin’ auf diesen alt’n Bildern auf Mauern von den Pyramiden rote Leute, sin’ alle von Ruta gekommen. So sin’ die schwarzen Leute von Kusmin gekommen, un’ sie hab’n alle weißen Leute zu Sklaven gemacht.«
»Haben die Weißen keinen Kampf angefangen?«
»Sie war’n zu zivil’siert dazu. Etwa, sie war’n so hoch über gewöhnlichen Leuten wie heute Menschen über Tier’n. Baby, sie ging’n nich mal zusamm’n ins Bett, Kinder zu mach’n, sie hatt’n sogar andre Methoden für das. Die Schwarzen ha’m das bloß nich’ gewußt, drum ha’m se überall Liebe gemacht. Das is, wie alles angefang’n hat, alle die Angst, die ihr weiß’n Leute habt vor uns schwarzen. Is keine Frage von Bürgerrecht’n; is einfach, de weiße Rasse is bange vor Vergewaltigen oder so was.«
Paul stützte sich auf einen Ellbogen. »Du tust eine bewundernswürdige Arbeit.«
»Da, hier is der große Schalter, verstehst du? Nach der Invasion fang’n die Weißen an un’ denk’n mit ein’m andern Zentrum. Sie ha’m nich mehr Geist-Bewußtsein; sie fang’n an un’ kriegen Körper-Bewußtsein. Un’ für de schwarzen Leute von Kusmin is’ es grade andersrum. Drum gehn wir Schwarzen noch rum un’ jammern von ›soul‹. Wir ha’m Soul-Ess’n un Soul-Musik un’ all das vermengt. Wir haun noch auf de falsche Trommel.«
»Und die roten Leute? Was hatten die für
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