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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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›Himmelsleute‹ sagen, beziehen Sie sich auf die Oper, nehme ich an.«
    »Es hat Weiße gegeben, die vom Himmel her kamen. Die Indianer von Mexiko wissen das; sie hielten die spanischen Forschungsreisenden für die wiederkehrenden weißen Himmelsleute. Ihr mächtigster Gott war Quetzalcoatl. Wußten Sie schon, daß er weiß war? Und daß er einen roten Bart hatte?«
    »Kommt das alles im vierten Akt vor?«
    »Ich kann jetzt nicht den vierten Akt für Sie tan zen.« Sie fuhr sich rasch mit der Hand über den Körper, als ob sie sich auszöge. »Das wäre absolut gegen die Bestimmungen der Fluggesellschaft. Aber … irgendwann werden wir zusammen sein, bald, und Sie werden Ihren vierten Adventus haben.«
    »Es gibt nur ein oder zwei –«
    »Entschuldigen Sie, wir bereiten uns auf die Landung vor. Bitte haken Sie Ihren Sicherheitsgurt ein und machen Sie alle Zigaretten aus.« Sie sah im Fortgehen über ihre Schulter zurück und winkte ihm einen kleinen Gruß zu. »Ich hoffe, daß Sie noch einmal mit uns fliegen. Bald.«
     
    Sie landeten auf dem ›San Francisco International‹ ge rade rechtzeitig für den dritten Weltkrieg.
    Beinahe den dritten Weltkrieg.
    Er war schon seit langer Zeit im Entstehen begriffen. Es hatte in den sechziger Jahren angefangen, als man amerikanische Truppen zu einer Blitzoffensive nach Vietnam geschickt hatte, damit sie das Land vom drohenden Kommunismus befreiten, der durch nordvietnamesische Teenager in schwarzen Pyjamas verkörpert wurde.
    Jahre danach konzentrierte Amerika seine kriegerischen Bemühungen – um starke Truppenverluste zu rechtfertigen und um den wirtschaftlichen Aufstieg nicht zu gefährden – auf Laos, Kambodscha, Thailand und ein unbekanntes Gebiet an der chinesischen Gren ze, das nicht einmal der Funkdienst richtig buchstabieren konnte.
    Es wurde einfach »der Krieg« genannt.
    Die Drohung einer direkten nuklearen Konfrontati on mit China war das, was 1972 bei der Präsidentenwahl den Ausschlag gab, und da neue Wahlen – kaum mehr als ein Jahr später – bevorstanden, verging kaum eine Woche, in der die Verwaltung nicht einen feindlichen Anschlag zur Zerstörung der Demokratie aufdeckte.
    Diesmal schien es Ernst zu werden. Man hatte in San Bernardino vier Orientalen erwischt, die dort versuchten, die Saint-Andreas-Verwerfung loszusprengen und so einen Erdrutsch in Gang zu bringen, der San Francisco, Los Angeles, ja alles, was westlich der Verwerfungslinie lag, ins Meer stürzen würde.
    Offensichtlich war dies die Einleitung eines Angriffs im großen Maßstab.
    Der Flugplatz war auf den Krieg vorbereitet. Männer von der Nationalgarde standen am Gepäckschalter Wache und hielten die Gewehre bereit. Zwei mittelschwere Panzer, hastig mit Netzen getarnt, standen der Taxi-Reihe am Eingang gegenüber. Eine Reihe behelmter Polizisten lehnte sich gegen eine anwachsende Schar von Passagieren, die wegen plötzlich abgesagter Flüge wieder abgesetzt worden waren.
    »Glaubste, diesmal werfen sie wirklich was ab?« fragte Winnie und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
    »Ich bin nicht davon überzeugt. Sehen wir mal, ob wir ein Taxi kriegen können.«
    »Ulkig, wenn sie’s diesmal wirklich stoppen.«
    »Hysterisch. Fährst du nach Sausalito?«
    »Ich soll bei Magdelaine in Stiers Haus sein, da könn’ wir die Proben anfang’n. Herrje, bin ich verschlafen …«
    Jedes Taxi wurde von einem Soldaten in Kampfausrüstung bewacht. Paul sah auf, als ein dichtes Dreieck von Düsenjägern über den Flugplatz kreischte, dann griff er nach seiner Reisetasche. Er würde zum zweiten Male innerhalb vierundzwanzig Stunden einen Passierschein extra bezahlen müssen.
    Um neunzehn Uhr und fünf Minuten verstummte an diesem Abend der Rundfunk nach einer knappen Ankündigung, daß nur noch offizielle Mitteilungen der Regierung gesendet würden. Auch mit dem Fernsehen war es vorbei – sämtliche Sender zeigten lediglich – ohne Ton – ein Bild des Präsidenten und die amerikanische Flagge.
    Paul stand in der Dunkelheit und sah hinaus zu dem dämmerigen Abhang. Nach sieben Gläsern Weißwein wurde er schläfrig und ging zu Bett.
    Er träumte nicht.
    Ja, er wußte, daß es jetzt Morgen war, und er wußte auch, daß er wach war. Er wußte, daß er die Augen nicht auf tun wollte. Er bewegte sein Gesicht von dem Flecken kalten Schweißes zurück, der sein Kopfkissen kühl machte, und zog den Rand der Decke hoch, um sein Ohr zuzudecken.
    Im Rundfunk war hin und wieder die atmosphärische

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