Der große Stier
gefallen.«
»Wohin führst du mich?«
»Dahin, wo du Stier siehst …« Sie winkte einer weißgekleideten Wächterin, die ihnen daraufhin die Tür öffnete. »Wo du sechs oder sieben Richard Stiers siehst …«
In dem Raum herrschte rege Betriebsamkeit. An einer Seite befand sich eine Reihe von Spiegeln, die mit grellen elektrischen Birnen umrandet waren. Davor standen drei Männer, die sich die Gesichter puderten, die Perücken zurechtsetzten und mit Schminkstiften geschickte Linien zogen. Sie sahen alle aus wie Stier. Andere Männer trugen Eimer voll künstlichen Schnees, entwirrten dicke Spulen mit Elektrodrähten, riefen einander Anweisungen zu und schirmten dabei ihre Augen gegen den ständigen hellen Schein der Deckenlichter ab.
»Ein Filmstudio?« fragte Paul.
»Ja. Genauer gesagt ein Fernsehstudio. Wir haben mehrere Spots in Arbeit … Sogar Außenaufnahmen machen wir hier, siehst du? Da drüben ist auch ein Richard Stier, der Mann, der das weiße Ren füttert. Du scheinst nicht beeindruckt zu sein …«
Paul sagte nichts.
»Der kleine Eingang dort drüben führt zu dem Generator unter dem Atlantis-Schwimmbecken. Dort können Magdelaine und ihre Leute die Menge des Lehms im Ventilations-System regulieren, je nachdem … was gerade nötig ist.«
»Damals in Dawson, in der Bar, da hast du blauen Lehm in meinen Drink getan.«
»Ein bißchen auf den Glasrand. Ich wollte dich entspannen …«
»Naasook hast du tatsächlich entspannt!«
»Was Naasook passiert ist, war ein Unfall.«
»Und alles, was du mir da oben erzählt hast, war Lüge.«
»Nein, das meiste stimmte. Besonders das über Die Neun .«
»Du arbeitest für sie?«
»Nach dem, was mit Richard passiert ist, mußte ich das tun.«
»Und was ist mit Richard passiert?«
»Sie werden entscheiden, ob du es wissen darfst …«
Im Hintergrund des Studios führte ein schmaler Durchgang zu einer eisernen Tür, die von zwei ernsten Männern bewacht wurde. Nach einer kurzen Diskussion mit Adrianne schlossen sie die Tür auf.
Der Raum war fast eine genaue Kopie des Wohnraums von Stiers Apartment in Vancouver; Wände und Decke weiß, der weiße Teppich, weiße Möbel, eine Wand in ihrer ganzen Länge mit einem schweren weißen Vorhang versehen. An einem großen runden Tisch in der Mitte des Raumes saßen vier Männer; derjenige, der stand und lächelte, war Fenton Knowles.
»Adrianne, das war eine glänzende Show! Wir haben die ganze Sache auf der Rufanlage mitgehört. Mr. Odeon? Nach Ihren erregenden Worten bin ich sehr froh, Sie mit heilen Knochen zu sehen.«
»Meine Herren, das ist der junge Mann, von dem wir gesprochen haben … Mr. Odeon, darf ich Sie mit Bischof Clandeau von der Diözese Montreal bekanntmachen, mit General Wheeler und mit Mark Hudson. Mr. Hudson ist Programmdirektor der Canadian Broadcasting Corporation. Also, Adrianne, wenn Sie darauf achten würden, daß Mr. Odeon gut versorgt ist, können wir zum Geschäftlichen kommen.«
»Gehören nicht noch fünf andere zu Ihnen?«
»Fünf andere?«
»Damit Die Neun vollständig sind?«
Knowles faßte sich an die Brillenränder und lachte; der Bischof, der General und der CBC-Mann schienen wirklich verwirrt.
»Adrianne, ich fürchte, Sie haben aus der Schule geplaudert …« Knowles hob eine Augenbraue hoch.
Adrianne berührte Paul am Arm und, mit einem bittenden Blick, lud ihn durch eine Bewegung zum Sitzen ein.
»Wir wollen da fortfahren, wo wir aufgehört ha ben«, sagte Knowles mit Entschiedenheit. »Herr General, ich bitte, die Unterbrechung zu entschuldigen.«
Der General zog an seinem Schnauzbart und räusperte sich. »Bis morgen vierzehn Uhr sind an alle Truppen, die unter meinem Kommando stehen, weiße Uniformen ausgegeben, gleich der, die ich jetzt trage. Gemäß Vorschrift sieben werden die Truppen weder Gewehre noch Bajonette haben. Gemäß Vorschrift zwölf werden alle Einheiten der Zivilpolizei Ontarios in der sechsten Division zusammengefaßt.«
»Und die anderen Provinzen, Herr General?«
»Stimmen zu. Am Freitag werde ich mit General Proctor in Verbindung treten. Er wird die Einheiten neu aufteilen, die zur Zeit unter dem Kommando der NATO stehen.«
»Ausgezeichnet!« Knowles sah über seine Brille hinweg zu Paul hinüber. »Interessant, nicht wahr? Bis Freitag nachmittag wird Kanada die größte unbewaffnete Armee der Welt haben und keinen einzigen Polizisten. Ist Stärke schon jemals so zuversichtlich zum Ausdruck gebracht worden?«
Paul sah zu Adrianne
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