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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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Knowles nahm seine Brille ab und fing an, mit dem Taschentuch ihre Gläser zu putzen. »Ich möchte Sie nur auffordern, sich die Lage anzusehen, in der wir uns zur Zeit befinden. Wer auch die Präsidentenwahl der Vereinigten Staaten gewinnen mag, ›der Krieg‹ wird weitergehen. Wenn nicht irgend etwas unternommen wird, kann er nur zum Atomkrieg führen.«
    Er ging zum Kamin hinüber und blieb dort stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Es hängt nicht nur die Zukunft der Vereinigten Staaten in der Schwebe, sondern das Schicksal der ganzen Welt. Und jetzt, schon während wir hier sprechen, taucht eine neue Nation auf mit einer Macht, die noch größer ist als selbst die der Atomwaffen. Die Nation heißt Kana da, und die Macht ist die Musik von Richard Stier.
    Unsere Aufgabe besteht darin, diese Macht zu lenken. Wir haben dazu gewisse Werkzeuge, beispielsweise weißen und blauen Lehm. Wir benutzen sie nur dazu, die neue Lebensweise voranzutreiben. Wenn unsere Arbeit getan ist, werden die Werkzeuge verschwinden. Aber jetzt noch nicht. Die Gemüter der Menschen sind noch nicht für die Wahrheit bereit. Das ist der Grund, weshalb wir Sie bitten, die Logik beisei te zu lassen und Ihren Verstand der Schaffung einer bedeutenderen Wirklichkeit zu widmen. Ein Land – Amerikanada – in der Musik von Stier vereinigt, ein Katalysator für die ganze Welt.«
    »Das klingt sehr schön«, sagte Paul langsam, »aber sind Sie ehrlich davon überzeugt, daß Sie ein Land auf Lehm bauen können?«
    »Wir bringen mehr als das zustande, Sie haben es selbst gesehen. Es wird in unserem Lande keine Waffen irgendwelcher Art mehr geben, es werden auch keine nötig sein. Lehm sichert eine friedliche Bevölkerung. Und wer sind unsere Feinde? Gewiß nicht China oder Rußland oder irgendein Land in Afrika … Wir beweisen ihnen unsere Freundschaft, indem wir unser Land ihren Bewohnern öffnen. Es ist vor allem eine Frage der Kommunikation …«
    Knowles setzte seine Brille wieder auf, ging zum Tisch zurück und nahm ein gebundenes Buch zerfetzter Papiere zur Hand. »Dies ist die Partitur von Stiers neuer Oper. Wir haben sie jetzt Amerikanada genannt. Zu dieser Partitur gibt es keinen Text, es ist reine Klangenergie. Wir möchten gern, daß Sie für diese Oper das gleiche tun, was Sie für Iliyu getan haben, aber mit einem bedeutenden Unterschied: Sie müssen über die Begrenzungen der Logik hinausgehen und die Schneekinder in die geeignete Richtung führen.«
    Paul stand von seinem Stuhl auf. »Und die Wahrheit kann zum Teufel gehen!«
    »Mr. Odeon, wir geben Ihnen eine Möglichkeit, die Wahrheit schaffen zu helfen …«
    »Nein. Sie wollen, daß ich eine Lüge verewige. Stier ist eine Lüge, eine totale Fiktion.«
    »Stier ist keine Fiktion.«
    »Das werden Sie erst beweisen müssen.«
    Knowles starrte eine volle Minute auf den Boden, ehe er darauf etwas sagte. »Also gut. Adrianne, möchten Sie lieber hinausgehen?« Adrianne schüttelte den Kopf und fing an, etwas zwischen ihren Handflächen zu reiben.
    Knowles drückte auf einen Knopf an der Tischkan te, und die weißen Vorhänge an der Wand glitten langsam beiseite; sie enthüllten eine dicke Glasscheibe, die die Wand eines kleineren Raumes darstellte.
    »Kommen Sie näher, Mr. Odeon«, sagte Knowles, »und sehen Sie …«
    Der Raum hinter der Glasscheibe war matt erleuchtet. Paul konnte die Umrisse eines Klaviers erkennen, irgendwelche Überreste auf dem Fußboden und etwas das in einer Ecke kauerte.
    »Wie sagte Beethoven: Mehr Licht …« Knowles drückte auf einen anderen Knopf, und die Lampen in dem Raum wurden hell. Die Gestalt in der Ecke schirmte die Augen ab, hob einen kleinen schwarzen Stock auf und begann, an seinem Ende zu lutschen. »Das Licht signalisiert seine Essenszeit … Heute morgen hätten Sie ihn mit seinen Hörnern und Pfeifen sehen können.«
    »Das ist … das ist Stier?« Paul schluckte einen sauren Klumpen, der ihm aus dem Magen aufgestiegen war, wieder hinunter.
    »Richard Stier … was von ihm noch übrig ist.«
    »Wie?« Paul wandte sich von der Glaswand ab. »Warum?«
    »Was Sie da sehen, ist das Nächstmögliche eines Geistes ohne Körper. Mag sein, daß er mehr weiß, als irgendein Mensch jemals gewußt hat. Vielleicht ist er auch einfach unheilbar geistesgestört. Wir nehmen jeden Ton von ihm auf. So grotesk es auch ist, dieses armselige Häuflein aus Fleisch und Knochen schafft die Stiermusik. Ich weiß nicht recht, ob Sie sehen möchten, was

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