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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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unsicher schwankend zum Waschbecken im Badezimmer und hielt seine Handgelenke in das strömende, eiskalte Wasser. Welcher Tag war heute?
    Er schüttelte das Wasser von den Händen ab und ging zum Tisch zurück. Die Papiere waren verschwunden. An ihrer Stelle lag ein kleiner Notizblock, die ersten drei Seiten waren in Adriannes Handschrift bekritzelt …
    »Am Anfang war Stier, und Stier war der Anfang. Aller Ruhm gehöre Stier! Sein Leib soll hoch erhoben werden, und sein Name soll im höchsten Maße heilig sein!«
    Als Paul im Vorraum Schritte hörte, ließ er den Block zu Boden fallen. Er sauste zur Tür und öffnete sie.
    »Welcher Tag ist heute?« schrie er.
    Der Mann lächelte, gab aber keine Antwort und ging weiter auf die Treppe am Ende des Vorraums zu. Dabei erhob er gelegentlich beide Hände an seine Nase.
    »Welcher Tag ist heute, verdammter Kerl!« schrie Paul hinter ihm her. »Welcher Tag ist heute!«
    Hinter einer geschlossenen Tür am Ende des Vorraums rief eine ärgerliche Stimme: »Halt den Mund, du verfluchter Saufbold!«
    »Welcher Tag ist heute!« schrie Paul der Stimme zu.
    »Samstag, du Arschloch …«
    Paul stolperte in sein Zimmer zurück. Samstag. Es ist Samstagabend. Die Oper! Er schnappte sich die Silberfuchsparka aus dem Wandschrank, rannte in die Halle und die Treppe hinunter.
    Die Frau am Schalter lächelte.
    »Ich muß einmal Ihr Telefon benutzen«, sagte Paul.
    Die Frau grinste und roch an ihren Fingern.
    »Ihr Telefon! Ich muß jemanden anrufen!«
    Die Frau fing an, leise vor sich hin zu summen.
    Paul fluchte auf sie und eilte auf die Straße hinaus. Als er zum Adventuary lief, kam er an schweigenden Menschengruppen vorbei; sie waren magnetisch angezogen durch die Töne der Stiermusik aus den Lautsprechern, die man an der Spitze von Telegraphenma sten angebracht hatte. Er sah nur einen Polizisten, ei nen hochgewachsenen jungen Mann in weißer Uniform, mit lächelndem Gesicht, die rechte Hand, an der er keinen Handschuh trug, dicht an die Nase haltend.
    Als Paul sich dem Adventuary näherte, verlangsamte er sein Tempo bis zum Gehschritt. Die gleiche muskulöse Frau, der er vor zwei Tagen gegenübergestanden hatte, bewachte den Eingang. Rasch kreuzte er seine Handgelenke zum Zeichen der Freude.
    »Wie bist du gekommen?«
    »Im Stiergeiste. Ich bin Paul Odeon. Adrianne, die Frau-Mutter Stier mit den blauen Perlen, hat mich angewiesen, hier hineinzugehen.«
    Nach einem kurzen Zögern trat die Frau zurück. Paul ging schnell hinein.
    Das Laboratorium und die Meditations-Abteilung waren beide leer. Während die donnernden Laute von Stier seinen ganzen Körper vibrieren ließen, bedeckte Paul seine Ohren und stieg die Treppe zur Sternwarte hinauf. Als er halb oben war, hielt er an und sah hinunter zu dem erregenden Schauspiel, das sich auf den Atlantis-Inseln darbot.
    Terhikki, Winnie und Mrs. Chen, umgeben von nackten Schneekindern, waren auf Ruta versammelt. Sie hatten die Arme erhoben und wiesen damit auf Magdelaine hin; sie tanzte oberhalb der Gruppe auf einer Eisfläche, die man auf Chebrexi konstruiert hatte. Die ganze Hinterwand des Adventuarys war entfernt worden und die Seitenwände durch glänzende Eisblöcke verlängert, so daß ein Amphitheater für Tausende von weißgekleideten Schneekindern entstanden war.
    Als Paul zu der gewölbten Decke emporblickte, sah er nur schwache Spuren von Dunstwolken. Bis jetzt waren also die Lehmdünste noch nicht freigelassen worden, dachte er und stieg die Stufen wieder hinab. Zu seiner Überraschung fand er die Tür des Fernsehstudios offen und unbewacht. Schnell schloß er sie hinter sich und preßte sich gegen die Wand. Er versuchte, die rasselnden Laute seines Atems herunterzuschlucken.
    Er sah sich nach einer Waffe um und entschied sich für eine große isolierte Zange, die er in die Tasche seiner Parka steckte, ehe er zu der rückwärtigen Tür kroch. Auch sie war unbewacht; er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen sie, drehte am Türknauf und sprang in den dahinterliegenden Raum.
    Der Raum war verlassen. Die weißen Vorhänge, die die Glaswand von Stiers Käfig bedeckten, waren nur teilweise zugezogen. Paul preßte seine Hände gegeneinander, damit sie nicht zitterten; dann ging er langsam zu der Öffnung am Ende der Vorhänge und blickte angestrengt hinein.
    »Sind Sie … da?« Paul flüsterte die Worte gegen das kalte Glas des Fensters und sah dabei einmal nervös über seine Schulter zurück.
    »Richard! Ich bin Paul Odeon.

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