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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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meinen Blick im Rückspiegel auf.
    Ich bin auch ein geiler alter Bastard, dachte ich, während Stevie Ray, der Hund, mir wieder hingebungsvoll das Knie leckte und der andere Stevie Ray eine rauchige Version von »Pride and Joy« anstimmte. Die Stelle an meinem Bein, die Spider berührt hatte, schien zu pulsieren. Ich wünschte mir, er würde es wieder tun, obwohl ich wusste, dass das lächerlich war. Eine laminierte Karte mit einem Kreuz darauf baumelte am Rückspiegel neben einem Lufterfrischer in Form eines verblassten Weihnachtsbaums, und als sie sich drehte, sah ich, dass auf der anderen Seite das Foto eines kleinen Jungen war.
    »Ist das dein Sohn?«, fragte ich Lou, als das Stück zu Ende war, und deutete auf den Spiegel.
    »Das ist mein kleiner Luke«, antwortete sie und tippte dagegen.
    »Wird er bei der Hochzeit dabei sein?«, fragte ich, aber sie antwortete nicht. Sie drehte nur die Musik leise, und ich begriff sofort, dass ich etwas Falsches gesagt hatte.
    »Er ist vor fünf Jahren gestorben, als er acht war«, sagte Lou kurze Zeit später.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte ich, beugte mich vor und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter.
    »Er war mit dem Fahrrad unterwegs und wurde von einem Laster erwischt«, sagte sie ohne Umschweife. »Er war nicht sofort tot. Er hat noch eine Woche lang im Krankenhaus gelegen. Keiner von den Ärzten konnte es fassen, dass er nicht auf der Stelle tot war.«
    »Er war ein zäher kleiner Bursche«, sagte Spider.
    »Das war er«, sagte Lou.
    »Genau wie seine Mom«, sagte Dave und fasste nach ihrem Knie.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte ich noch einmal.
    »Das weiß ich«, sagte Lou und drehte die Musik wieder lauter. Wir redeten nicht mehr und lauschten nur noch Vaughans elektrischer Gitarre, die sich heulend durch »Texas Flood« arbeitete. Mein Herz krampfte sich zusammen.
    Ein paar Minuten später rief Lou: »Da ist deine Kreuzung.« Sie hielt an, stellte den Motor aus und blickte zu Dave. »Wie wär’s, wenn ihr Jungs mit Stevie Ray ein bisschen Gassi geht?«
    Sie stiegen alle mit mir aus, standen herum und zündeten sich Zigaretten an, während ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum zog. Dave und Spider führten Stevie Ray zu den Bäumen neben der Straße, und ich schnallte mir an einer schattigen Stelle neben dem Wagen das Monster um. Lou fragte mich, ob ich Kinder hätte. Wie alt ich sei. Ob ich verheiratet sei. Oder ob ich es mal gewesen sei.
    Nein, sechsundzwanzig, nein, ja.
    »Du bist hübsch«, sagte sie, »deshalb wirst du es schon schaffen, egal was du machst. Bei mir müssen die Leute immer darauf herumreiten, dass ich ein gutes Herz habe. Ich habe nie gut ausgesehen.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich. »Ich finde dich hübsch.«
    »Echt?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich, obwohl »hübsch« nicht das Wort war, mit dem ich sie beschrieben hätte.
    » Wirklich? Danke. Das ist schön zu hören. Normalerweise ist Dave der Einzige, der das findet.« Sie schaute an meinen Beinen hinunter. »Du brauchst eine Rasur, Mädchen!«, rief sie und lachte dann wieder dieses heisere Lachen wie schon bei ihrer Bemerkung über meinen Rucksack. »Ne«, sagte sie und stieß Rauch aus. »Ich red Scheiß. Ich finde es toll, dass du tust, was du willst. Das tun viel zu wenig Mädels, wenn du mich fragst – auf die Leute und ihre Erwartungen einfach pfeifen. Wenn das mehr Frauen tun würden, wären wir besser dran.« Sie nahm noch einen Zug und blies den Rauch in einem dünnen Strahl von sich. »Jedenfalls, als die Sache mit meinem Sohn passiert ist. Als er totgefahren worden ist, bin auch ich gestorben. Hier drin.« Sie klopfte sich mit der Hand, in der sie die Zigarette hielt, an die Brust. »Ich sehe noch genauso aus, aber hier drin bin ich nicht mehr dieselbe. Ich meine, das Leben geht weiter und der ganze Scheiß, aber Lukes Tod hat es mir genommen. Ich versuche, so zu tun, als wäre es nicht so, aber es ist so. Er hat auch die Lou da drin sterben lassen, und ich werde sie nicht zurückbekommen. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja«, sagte ich und sah in ihre braunen Augen.
    »Das hab ich mir gedacht«, sagte sie leise. »Ich habe es sofort gespürt.«
    Ich verabschiedete mich von ihnen, überquerte die Kreuzung und ging zu der Straße, die nach Old Station führte. Dort angekommen, sah ich in der Ferne verschwommen drei Gestalten.
    »Stacy!«, rief ich. »Trina!«
    Sie sahen mich und winkten. Odin bellte zur Begrüßung.
    Zusammen trampten wir nach Old Station –

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