Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
Vom Netzwerk:
der einsamste Mensch auf der Welt. Die Sonne brannte heiß auf mich herunter, obwohl ich meine Mütze aufhatte. Ich fragte mich, wo Stacy und Trina wohl waren. Der Mann, bei dem sie eingestiegen waren, hatte sie nur bis zu der neunzehn Kilometer östlich gelegenen Kreuzung mit dem nächsten Highway mitnehmen wollen, auf dem wir nach Norden und dann zurück nach Westen trampen mussten, um bei Old Station wieder auf den PCT zu gelangen. Wir hatten ausgemacht, uns an der Kreuzung zu treffen. Ich bereute es jetzt, dass ich sie dazu ermuntert hatte, mich zurückzulassen. Ich streckte den Daumen einem weiteren ankommenden Wagen entgegen, und erst als er vorbei war, dämmerte mir, dass es wohl nicht so gut aussah, wenn ich eine Dose Bier in der Hand hielt. Ich drückte mir das kühle Aluminium an die heiße Stirn und verspürte plötzlich Lust, das Bier zu trinken. Warum auch nicht? Im Rucksack wurde es nur warm.
    Ich schulterte das Monster, durchquerte den Straßengraben und spazierte über die Wiese in den Wald, in dem ich mich irgendwie zu Hause fühlte, als wäre das jetzt meine Welt und nicht mehr Straßen, Städte und Autos. Ich ging, bis ich einen schönen schattigen Platz fand. Dort setzte ich mich auf die Erde und knackte die Dose. Normalerweise mochte ich Bier nicht – tatsächlich war das Budweiser das erste Bier in meinem Leben, das ich leer trank –, aber diesmal schmeckte es mir, so wie es wohl denen schmeckt, die gerne Bier trinken: schön kühl, herb und frisch.
    Beim Trinken untersuchte ich den Inhalt der Einkaufstüte. Ich nahm alles heraus und legte es vor mir auf den Boden: ein Päckchen Pfefferminzkaugummi, drei einzeln verpackte Erfrischungstücher, eine Papiertüte mit zwei Aspirin-Tabletten, sechs Karamellriegel in durchsichtiger goldener Verpackung, ein Streichholzheftchen, eine vakuumverpackte Slim-Jim-Wurst, eine einzelne Zigarette in einem Plexiglasröhrchen,ein Einwegrasierer und eine kleine, dicke Dose Baked Beans.
    Die Wurst aß ich zuerst und spülte sie mit dem restlichen Budweiser hinunter, danach die Karamellriegel, alle sechs nacheinander, ehe ich mich – noch hungrig, da immer hungrig – der Dose Baked Beans zuwandte. Mit dem unsäglichen Dosenöffner meines Taschenmessers hebelte ich sie in mühseliger Kleinstarbeit auf, und da ich zu faul war, im Rucksack nach einem Löffel zu wühlen, schaufelte ich die Bohnen mit dem Messer heraus und aß sie, ganz nach Hobo-Art, von der Klinge.
    Leicht beduselt vom Bier und zwei Pfefferminzkaugummis kauend, um wieder nüchtern zu werden, kehrte ich auf die Straße zurück und reckte jedem vorbeikommenden Auto fröhlich meinen Daumen entgegen. Nach ein paar Minuten hielt ein alter, weißer Ford Maverick. Eine Frau saß am Steuer, neben ihr ein Mann und auf dem Rücksitz ein zweiter Mann mit einem Hund.
    »Wohin soll’s gehen?«, fragte sie.
    »Old Station«, antwortete ich. »Oder wenigstens bis zur Kreuzung von Highway 36 und 44.«
    »Das ist unsere Richtung«, sagte sie, stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. Sie war um die vierzig, hatte wuscheliges, blondiertes Haar und ein aufgedunsenes Gesicht, das mit Aknenarben übersät war. Sie trug abgeschnittene Jeans, goldene Ohrringe in Schmetterlingsform und ein gräuliches Oberteil mit Nackenträger, das aus den Streifen eines Wischmopps gemacht schien. »Das ist aber ein Mordsrucksack, den du da hast, Mädchen«, sagte sie und lachte heiser.
    »Danke, vielen Dank«, sagte ich in einem fort und wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht, während wir mit vereinten Kräften das Monster in den Kofferraum hievten. Schließlich stiegen wir ein, ich zu dem Hund und dem Mann auf dem Rücksitz. Der Hund war ein Husky, ein Prachtkerl mit blauen Augen, und saß auf dem Boden vor dem Sitz, wo er kaum Platz hatte. Der Mann war schlank und etwa im selben Alter wie die Frau. Sein dunkles Haar war zu einem dünnen Zopf geflochten. Er trug eine schwarze Lederweste ohne Hemd darunter und ein rotes Bandana, das er sich wie ein Biker um den Kopf gebunden hatte.
    »Hallo«, murmelte ich in seine Richtung und sah mir, während ich vergeblich nach dem Sicherheitsgurt tastete, der irgendwo in den Tiefen der Sitzfalte steckte, flüchtig seine Tattoos an: auf dem einen Arm eine eiserne Dornenkugel an einer Kette, auf dem anderen die obere Hälfte einer barbusigen Frau, die entweder vor Schmerz oder Ekstase den Kopf zurückgeworfen hatte. Ein lateinisches Wort, dessen Bedeutung ich nicht kannte,

Weitere Kostenlose Bücher