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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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weiblichen Hobo«, flüsterte er halb, als vertraue er mir ein Geheimnis an, »deshalb finde ich das unheimlich cool.«
    »Ich bin kein Hobo!«, entgegnete ich, diesmal etwas energischer.
    »Weibliche Hobos sind schwer zu finden«, beharrte er.
    Das liege daran, erwiderte ich, dass Frauen zu unterdrückt seien, um Hobos zu werden. Und dass wahrscheinlich alle Frauen, die gerne Hobos geworden wären, mit einer schnatternden Kinderschar zu Hause hockten. Mit Kindern, die männliche Hobos gezeugt hätten, ehe sie sich aus dem Staub machten.
    »Ah, verstehe«, sagte er. »Sie sind Feministin.«
    »Ja«, sagte ich. Es tat gut, wenigstens einmal einer Meinung zu sein.
    »Das gefällt mir«, sagte er und schrieb in seinen Notizblock, ohne zu sagen, was genau ihm gefiel.
    »Aber das ist doch alles Quatsch!«, rief ich. »Denn ich selbst bin kein Hobo. Was ich tue, ist völlig normal, verstehen Sie? Ich bin nicht die Einzige, die auf dem PCT wandert. Viele Leute tun es. Haben Sie schon mal vom Appalachian Trail gehört? Der ist so ähnlich. Nur drüben im Westen.« Ich stand da und sah ihm beim Schreiben zu, hatte aber das Gefühl, dass er mehr schrieb, als ich gesagt hatte.
    »Ich würde gern ein Foto von Ihnen machen«, sagte Jimmy Carter, fasste in seinen Wagen und zog eine Kamera heraus. »Ein cooles T-Shirt, nebenbei bemerkt. Ich liebe Bob Marley. Und Ihr Armband gefällt mir auch. Viele Hobos sind Vietnam-Veteranen.«
    Ich senkte den Blick auf William J. Crocketts Namen an meinem Handgelenk.
    »Bitte lächeln«, sagte er und machte ein Foto. Er forderte mich auf, in der Herbstausgabe von Hobo Times nach seinem Artikel über mich zu suchen, als wäre ich regelmäßige Leserin des Blatts. »Manche Artikel werden auch im Harper’s Magazine nachgedruckt«, fügte er hinzu.
    »Im Harper’s ?« , fragte ich verblüfft.
    »Ja, das ist eine Zeitschrift, die …«
    »Ich weiß, was das Harper’s ist«, unterbrach ich ihn scharf. »Und ich möchte nicht ins Harper’s. Das heißt, ich möchte schon ins Harper’s, aber nicht, weil ich ein Hobo bin.«
    »Ich dachte, Sie sind gar kein Hobo«, sagte er, drehte sich um und öffnete den Kofferraum seines Wagens.
    »Bin ich auch nicht, deshalb halte ich das Ganze auch für keine gute Idee und finde, Sie sollten diesen Artikel lieber nicht schreiben, denn …«
    »Das Standard-Paket für Hobos«, sagte er, drehte sich wieder um und drückte mir eine eiskalte Dose Budweiser in die Hand, dazu eine Einkaufstüte aus Plastik, die ein paar Artikel enthielt.
    »Aber ich bin kein Hobo«, wiederholte ich zum letzten Mal, allerdings nicht mehr so vehement, da ich fürchtete, er könnte mir doch noch glauben und das Standard-Paket für Hobos wieder wegnehmen.
    »Danke für das Interview«, sagte er und klappte den Kofferraum zu. »Passen Sie da draußen auf sich auf.«
    »Ja«, sagte ich. »Sie auch.«
    »Ich nehme an, Sie haben eine Waffe. Hoffe ich zumindest.«
    Ich zuckte mit den Schultern, nicht gewillt, darüber Auskunft zu geben.
    »Ich weiß, dass Sie von Süden kommen und nach Norden wollen, und das bedeutet, dass Sie bald Bigfoot-Land betreten.«
    »Bigfoot-Land?«
    »Ja. Auch Sasquatch genannt. Kein Witz. Den ganzen Weg hinauf bis zur Grenze und nach Oregon hinein wandern Sie durch das Gebiet, in dem die meisten Bigfoot-Sichtungen auf der ganzen Welt verzeichnet sind.« Er drehte sich zu den Bäumen, als könnte einer von dort auf uns losstürmen. »Viele Leute glauben, dass es sie gibt. Viele Hobos – Leute, die hier draußen leben. Leute, die sich auskennen. Ich höre ständig Bigfoot-Geschichten.«
    »Ich komme ganz gut zurecht, denke ich. Jedenfalls bis jetzt«, sagte ich und lachte, obwohl mein Magen einen kleinen Purzelbaum machte. Als ich mir in den Wochen vor meiner Wanderung vorgenommen hatte, vor nichts Angst zu haben, hatte ich an Bären, Schlangen, Pumas und Fremde gedacht, denen ich unterwegs begegnen würde. Stark behaarte Affenmenschen hatte ich dabei nicht auf dem Radar.
    »Aber wahrscheinlich wird Ihnen nichts passieren. Ich würde mir keine Sorgen machen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie Sie in Ruhe lassen. Besonders wenn Sie eine Waffe haben.«
    »Genau.« Ich nickte.
    »Viel Glück auf Ihrer Wanderung«, sagte er und stieg in sein Auto.
    »Viel Glück … bei Ihrer Suche nach Hobos«, sagte ich und winkte ihm nach, als er davonfuhr.
    Ich blieb noch eine Weile stehen und ließ mehrere Autos vorbeifahren, ohne den Daumen rauszuhalten. Ich fühlte mich wie

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