Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
zum späten Nachmittag.
Als ich irgendwann aufschaute, sah ich, dass ein Backenhörnchen gerade dabei war, ein Loch in das Moskitonetz an meinem Zelteingang zu nagen, um an meinen Proviantsack heranzukommen. Schimpfend jagte ich es fort. Es flüchtete auf einen Baum und schnatterte zu mir herab.
Mittlerweile hatte sich der Campingplatz um mich herum gefüllt. Auf den meisten Picknicktischen standen Kühltaschen und Campingkocher, Pick-ups und Wohnmobile parkten in den kurzen asphaltierten Zufahrten. Ich nahm meinen Proviantsack und ging in das anderthalb Kilometer entfernte Café, in dem ich bereits am Nachmittag zuvor mit Trina und Stacy gesessen hatte. Ich bestellte mir einen Burger, obwohl ich wusste, dass mich das fast meine gesamte Barschaft kostete. Mein nächstes Versorgungspaket erwartete mich im achtundsechzig Kilometer entfernten State Park bei den Burney Falls, aber das war für mich in zwei Tagen zu schaffen, da ich jetzt endlich schneller und weiter wandern konnte – von Belden aus hatte ich zweimal hintereinander dreißig Kilometer zurückgelegt. Es war fünf Uhr, aber jetzt, im Sommer, blieb es bis neun oder zehn hell, und ich war der einzige Gast und verschlang mein Abendessen.
Als ich das Café verließ, hatte ich nur noch Kleingeld in der Tasche. Ich ging an einem Münztelefon vorbei und kehrte dann zu ihm zurück, nahm den Hörer ab, wählte die 0, innerlich bebend vor Angst und Aufregung. Als sich die Dame von der Vermittlung meldete, nannte ich ihr Pauls Nummer.
Er hob nach dem dritten Klingeln ab. Ich war so überwältigt, als ich seine Stimme hörte, dass ich kaum ein Hallo herausbrachte. »Cheryl!«, rief er.
»Paul«, sagte ich schließlich, und dann erzählte ich ihm hastig und zusammenhanglos, wo ich war und einiges von dem, was ich seit unserer letzten Begegnung erlebt hatte. Wir telefonierten fast ein Stunde lang, und es war ein herzliches und ausgelassenes Gespräch, das mir guttat. Ich hatte nicht das Gefühl, mit meinem Exmann zu sprechen, sondern mit meinem besten Freund. Nach dem Auflegen blickte ich auf den Proviantsack, der zu meinen Füßen auf dem Boden stand. Er war fast leer, blau wie ein Rotkehlchenei, schlauchförmig und aus einem besonderen Material, das sich wie Gummi anfühlte. Ich hob ihn hoch, drückte ihn mir fest an die Brust und schloss die Augen.
Ich kehrte zu meinem Lagerplatz zurück und setzte mich mit Der Sommervogel an den Picknicktisch, war aber zu aufgewühlt zum Lesen. Ich sah den Leuten um mich herum dabei zu, wie sie ihr Abendessen zubereiteten, und dann beobachtete ich, wie das Gelb der Sonne zu einem Teppich aus Rosa- und Orangetönen zerfloss und schließlich in ein zartes Violett überging. Ich vermisste Paul. Ich vermisste mein Leben. Aber ich wollte zu beiden nicht zurückkehren. Immer wieder musste ich an den schrecklichen Augenblick denken, als Paul und ich zu Boden sanken, nachdem ich ihm meine Untreue gebeichtet hatte, und ich begriff, dass das, was ich mit meinem Geständnis in Gang gesetzt hatte, nicht nur zu meiner Scheidung geführt hatte, sondern auch dazu, dass ich jetzt allein in Old Station, Kalifornien, unter einem großartigen Himmel an einem Picknicktisch saß. Ich war weder traurig noch glücklich. Empfand weder Stolz noch Scham. Ich hatte nur das Gefühl, dass es trotz aller Fehler, die ich gemacht hatte, richtig von mir gewesen war, hierherzukommen.
Ich ging zum Monster und holte die Zigarette in dem Plexiglasröhrchen heraus, die mir Jimmy Carter am Morgen geschenkt hatte. Ich war Nichtraucherin, trotzdem brach ich das Röhrchen auf, setzte mich auf den Picknicktisch und zündete die Zigarette an. Ich war jetzt etwas mehr als einen Monat auf dem PCT unterwegs. Das war eine lange Zeit, und dennoch hatte ich auch das Gefühl, als hätte meine Reise eben erst begonnen, als finge ich erst jetzt an, das zu tun, weswegen ich hier herausgekommen war. Als wäre ich immer noch die Frau mit dem Loch im Herzen, nur dass dieses Loch winzig klein geworden war.
Ich nahm einen Zug, und während ich den Rauch wieder ausstieß, musste ich daran denken, dass ich mir am Morgen, als Jimmy Carter wegfuhr, wie der einsamste Mensch auf der ganzen Welt vorgekommen war. Vielleicht war ich so einsam wie sonst niemand auf der ganzen Welt.
Vielleicht war das in Ordnung.
12 –
Bis hierhin
Ich erwachte bei Tagesanbruch und brach im Handumdrehen mein Lager ab. Mittlerweile konnte ich innerhalb von fünf Minuten zusammenpacken. Jedes Teil, das in
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