Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
jenem unübersichtlichen Haufen auf dem Motelbett in Mojave gelegen hatte und noch nicht von mir aussortiert oder verbrannt worden war, hatte nun seinen festen Platz im oder am Rucksack. Meine Hände fanden ihn automatisch, als würden sie mein Gehirn dabei umgehen. Das Monster war meine Welt, meine unbelebte, zusätzliche Gliedmaße. Sein Gewicht und seine Größe verblüfften mich zwar immer noch, aber ich hatte mich damit abgefunden. Das war die Last, die ich zu tragen hatte. Ich haderte nicht mehr mit ihm wie noch vor einem Monat. Ich sah in ihm keinen Gegner mehr. Er und ich waren eins.
Dass ich das Gewicht des Monsters trug, hatte mich auch äußerlich verändert. Meine Beinmuskeln waren hart wie Stein geworden, schienen zu allem fähig und traten deutlicher denn je unter der Haut hervor. Die Stellen an den Hüften, den Schultern und am unteren Rücken, die ich mir an den Rucksackgurten wund gerieben hatte und die wiederholt geblutet hatten und verschorft waren, hatten endlich kapituliert, waren rau und narbig geworden und glichen jetzt einem Zwischending aus Baumrinde und der Haut eines toten Huhns, das in kochendes Wasser getaucht und gerupft worden war.
Meine Füße? Nun ja, die waren immer noch total im Eimer.
Die beiden großen Zehen hatten sich nie von den Prügeln erholt, die sie bei dem gnadenlosen Abstieg von den Three Lakes nach Belden Town bezogen hatten. Ihre Nägel sahen wie abgestorben aus. Die kleinen Zehen waren so wund gescheuert, dass ich mich fragte, ob sie nicht irgendwann komplett abgerieben wurden. Meine Fersen waren bis hinauf zu den Knöcheln mit Blasen übersät, die offenbar nicht mehr abheilen wollten. Doch an diesem Morgen in Old Station wollte ich nicht an meine Füße denken. Beim Wandern auf dem PCT kam es vor allem auf Willensstärke an, auf die feste Entschlossenheit weiterzumachen, trotz allem. Ich klebte meine Wunden mit Gelpads ab, zog Socken und Stiefel an, humpelte über den Campingplatz zu den Wasserhähnen und füllte meine beiden Trinkflaschen. Die zwei Liter Wasser mussten mir für die vierundzwanzig Kilometer über die glühend heiße Hat Creek Rim reichen.
Es war noch früh, aber schon heiß, als ich an der Straße entlang zu der Stelle wanderte, wo sie den PCT kreuzte. Ich fühlte mich ausgeruht und stark, gewappnet für den Tag. Den halben Vormittag führte mich der gewundene Weg durch ausgetrocknete Bachbetten und knochenharte Gräben. Ich blieb so selten wie möglich stehen und trank einen Schluck. Dann ging es über einen Steilhang, der sich kilometerweit hinzog, über eine trockene Hochwiese mit Wildblumen, die kaum ein Fleckchen Schatten bot. Die wenigen Bäume, an denen ich vorbeikam, waren dem Flächenbrand zum Opfer gefallen, der vor Jahren hier getobt hatte. Die Stämme waren ascheweiß oder schwarz verkohlt, die Äste abgebrochen oder bis auf kurze, spitze Stümpfe verbrannt. Wenn ich an ihnen vorüberging, empfand ich ihre starre Schönheit wie eine stumme, beklemmende Macht.
Über mir grenzenlos blauer Himmel, und die Sonne brannte erbarmungslos auf mich herab, drang sogar durch meinen Hut und die Sonnencreme, mit der ich mir das Gesicht und die Arme einrieb. Ich konnte kilometerweit sehen – den verschneiten Lassen Peak im Süden und, weiter weg, den höheren und verschneiteren Mount Shasta im Norden. Der Anblick des Mount Shasta erfüllte mich mit Erleichterung. Er lag in meiner Richtung. Ich würde an ihm vorbei und dann weiter bis zum Columbia River wandern. Jetzt, wo ich dem Schnee entronnen war, schien mich nichts mehr vom Kurs abbringen zu können. Im Geiste stellte ich mir vor, wie ich die restlichen Kilometer zügig und locker durchwanderte, doch die flirrende Hitze löschte dieses Bild bald aus und belehrte mich eines Besseren. Sollte ich es je bis zur Grenze zwischen Oregon und Washington schaffen, dann nur unter all der Mühsal, die das Reisen im Schritttempo mit einem Monstrum von Rucksack mit sich brachte.
Im Schritttempo zu reisen war eine völlig andere Art, sich durch die Welt zu bewegen, als die, die ich gewohnt war. Die Kilometer flogen nicht unbemerkt vorüber. Sie waren lange, intime Begegnungen mit Unkraut und Erdklumpen, mit Grashalmen und Blumen, die sich im Wind wiegten, mit Bäumen, die schwer am Weg standen und ächzten. Sie waren das Geräusch meines Atems und meiner Füße, die ich Schritt für Schritt auf den Pfad setzte, und das Klicken meines Skistocks. Der PCT hatte mich gelehrt, was ein Kilometer war. Ich hatte
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