Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
zwischen herumliegenden Baumresten und Ästen kaum noch zu erkennen. Die Bäume gehörten denselben Arten an wie die, an denen ich schon oft vorbeigewandert war, aber der Wald kam mir anders vor, unzusammenhängender und irgendwie düsterer, obwohl ich zeitweise einen weiten Blick hatte.
Am späten Nachmittag gelangte ich an eine Stelle, die einen schönen Ausblick über das hügelige grüne Land bot, und beschloss, Rast zu machen. Die Stelle lag an einem Hang. Auf der einen Seite ging es steil bergauf, auf der anderen steil bergab. In Ermangelung einer anderen Sitzgelegenheit hockte ich mich mitten auf den Pfad, wie ich es häufig tat. Ich zog Stiefel und Socken aus, massierte mir die Füße und blickte von dem Felsvorsprung, auf dem ich saß, über die Baumwipfel hinweg in die Ferne. Ich fand es toll, mich größer als die Bäume zu fühlen und von oben auf ihr Kronendach hinabzuschauen wie ein Vogel. Und ich vergaß ein wenig die Sorgen, die ich mir wegen meiner Füße und des schwierigen Streckenabschnitts machte, der vor mir lag.
Während ich so dasaß und meinen Gedanken nachhing, fasste ich zum Rucksack hinüber und zog am Reißverschluss der Seitentasche. Der Rucksack kippte um, fiel direkt auf die Stiefel und traf den linken so unglücklich, dass er in die Luft katapultiert wurde, als hätte ich ihn geworfen. Ich sah zu, wie er – alles ging blitzschnell und schien zugleich wie in Zeitlupe abzulaufen – wieder auf dem Boden aufschlug, dann über die Felskante purzelte und geräuschlos zwischen den Bäumen verschwand. Vor Schreck stockte mir der Atem. Ich ergriff den anderen Stiefel, drückte ihn mir an die Brust und wartete darauf, dass die Zeit sich zurückdrehte, dass jemand lachend aus dem Wald trat, den Kopf schüttelte und sagte, alles sei nur ein Scherz gewesen.
Aber niemand lachte. Niemals. Die Welt, so hatte ich gelernt, machte keine Scherze. Sie nahm sich, was sie wollte, und gab niemals etwas zurück. Ich hatte tatsächlich nur noch einen Stiefel.
Also stand ich auf und warf auch den anderen über die Kante. Ich blickte hinab auf meine nackten Füße, starrte sie lange an, und dann begann ich, mit Klebeband meine Sandalen zu reparieren. Ich klebte so gut es ging die Sohlen zusammen und verstärkte die Riemen, wo sie zu reißen drohten. Ich zog die Socken zu den Sandalen an, um meine Füße vor den Falten des Klebebands zu schützen. Ich fühlte mich schrecklich, als ich wieder aufbrach, tröstete mich aber mit dem Gedanken, dass mich in Castle Crags ein neues Paar Stiefel erwartete.
Am Abend öffnete sich der Wald zu einer breiten Schneise, die einem Trümmerfeld glich, kahl geschlagene Landschaft, aufgerissene Erde. Der PCT führte, kaum sichtbar, am Rand entlang. Mehrmals musste ich stehen bleiben und nach dem unter Ästen und aufgeworfenen Erdklumpen begrabenen Pfad suchen. Die Bäume, die am Rand der abgeholzten Fläche stehen geblieben waren, schienen zu trauern, in ihrer rauen Haut nun ungeschützt, die zackigen Glieder in grotesken Winkeln von sich spreizend. So etwas hatte ich im Wald noch nie gesehen. Es war, als wäre jemand mit einer riesigen Abrissbirne gekommen und hätte alles dem Erdboden gleichgemacht. War das der Wildniskorridor, der dem Kongress vorschwebte, als er die Mittel dazu bewilligte? Wohl nicht, aber ich wanderte durch Nationalforste, die der Kontrolle der Bundesregierung unter standen, und somit durch Gebiete, die, trotz ihres viel versprechenden Namens, von den Mächtigen so genutzt werden konnten, wie es ihnen zum Wohl der Allgemeinheit geeignet erschien. Mal bedeutete dies, dass das Land unberührt blieb, wie auf den meisten Abschnitten des PCT. Mal bedeutete es, dass alte Bäume gefällt wurden, um Dinge wie Stühle und Toilettenpapier daraus zu machen.
Der Anblick der aufgewühlten, kahlen Erde machte mich betroffen. Ich war traurig und wütend, aber auch, weil mich eine gewisse Mitschuld traf. Auch ich benutzte schließlich Tische, Stühle und Toilettenpapier. Als ich mir einen Weg durch das Trümmerfeld bahnte, merkte ich, dass ich für heute genug hatte. Ich erklomm eine steile Böschung und baute auf der abgeholzten ebenen Fläche oben zwischen Baumstümpfen und Erdhaufen das Zelt auf. So einsam wie jetzt hatte ich mich selten auf dem Trail gefühlt. Ich hätte gern mit jemandem gesprochen, und nicht mit irgendjemandem.
Ich hätte gern mit Karen, Leif oder Eddie gesprochen. Ich wollte wieder eine Familie haben, eingebunden sein in etwas, von dem ich
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