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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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mütterliches Erbteil, daß er still und rasch seine eigene Person zu versehen und zugleich alle Aufmerksamkeit anderen zu schenken wußte.
    Solche Züge verkünden ein tüchtiges Geblüt und weit mehr ein wahrhaft gutes Herkommen als alle angelernten Höflichkeiten und Anstandsformen. Wo sie sich, wie hier, in unwichtigen Dingen, sogar nur in Sachen des Vergnügens äußern, während ihre Ausbildung und Betätigung in den großen Lebenslagen stockt, da muß ein ernstes Schicksal, eine tiefe Verirrung im Anzuge sein, welche sich nur dem unkundigen Beobachter verbergen.
    Beide Freunde Heinrichs waren zwei reizenden Wesen für das kommende Fest verpflichtet. In einer vergessenen altertümlichen Gegend der Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter sonniger Platz, wo zwischen anderen ein schmales Häuschen im Renaissancestil zierlichst sich auszeichnete, in der Breite ein einziges Fenster von den schönsten Verhältnissen zeigend. Beide Stockwerke bildeten zusammen einen kleinen Turm oder eher ein Monument und waren durch den Gedanken der Gliederung ein Ganzes; die wohlgefügten, von der Zeit geschwärzten Backsteine zeigten eine scharfe und gediegene Arbeit, und selbst der Türklopfer von Erz, welcher ein schlankes, den schmalen Leib kühn hinausbiegendes Meerweibchen vorstellte, verriet die Spuren vortrefflicher Künstlerarbeit. Über der reichverzierten Tür ragte ein morgenländisches Marienbild von schwarzem Marmor, das auf einem stark im Feuer vergoldeten metallenen Halbmonde stand. So erinnerte das Ganze an jene kleinen zierlichen Baudenkmäler, welche einst große Herren für irgendeine Geliebte, oder berühmte Künstler zu ihrem eigenen Wohnsitze bauten. Hierher hatte Ferdinand seine Schritte zu lenken; denn in dem reichgesimsten Fenster sah man ein dunkles Mädchenhaupt auf schmalem Körper schwanken, wie eine Mohnblume auf ihrem Stengel. Die Witwe eines Malers aus der vorhergegangenen Periode wohnte in dem Häuschen, eines Malers, der zu seiner Zeit oft genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr die Werke zu finden waren; sogar seine seltsame Witwe, die einst nur außerordentlich schön gewesen, hatte das letzte Fetzchen gefärbter Leinwand weggeräumt und dafür das alte Haus inwendig bekleidet mit allen Erzeugnissen der Modenindustrie und den Spielereien der Bequemlichkeit. Nur ihr pomphaftes Bildnis, wie der Verstorbene sie einst als geschmückte Braut gemalt in aller ihrer Schönheit, bewahrte sie an einem altarähnlichen Platze und betete das Bild unverdrossen an. Sonst war die achtzehnjährige Tochter Agnes der einzige ästhetische Nachlaß des Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick den Ärmsten, daß er dieses sein bestes Kunstwerk nicht selber mehr sehen konnte, und man bedauerte um so tiefer, als die Witwe gar kein Auge für das liebliche Wunder zu haben schien, sondern, in die Betrachtung ihrer eigenen früheren Schönheit versunken, die zarte Blume des Kindes schwanken und blühen ließ, wie sie eben wollte.
    Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie aus Elfenbein gedrechselt und rund wie die zwei kleinen vollkommenen Brüstchen und wie die schlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlänke ein anmutiges Grübchen zeigten. Bis zu den Hüften wurde der Leib immer schlangenartiger, und selbst die Hüften verursachten eine fast unmerkliche Wölbung; aber diese war so schön, daß sie beinahe mehr Kraft und Leben verriet als die breitesten Lenden. Das Gewand saß ihr schön und sicher auf dem Leibe; sie liebte es ganz knapp zu tragen, so daß ihre ganze Schmalheit erst recht zutage trat, und doch berauschten sich die Augen dessen, der sie sah, mehr in dieser Erscheinung als in den reichen Formen eines üppigen Weibes, und wer einer vollen Schönheit kalt vorüberging, glaubte dies schmale Wesen augenblicklich in die Arme schließen zu müssen. Auf solchem schwanken Stengel aber wiegte sich die wunderbarste Blume des Hauptes. In dem marmorweißen Gesicht glänzten zwei große dunkelblaue Augen und ein kirschroter Mund, und das Rund des Gesichtes spitzte sich stark in dem kleinen reizenden Kinne zu, und doch war dies Kinn nicht so klein, daß es nicht noch die reizendste Andeutung einer Verdoppelung geziert hätte. Aber der breiteste Teil der ganzen Gestalt im wörtlichen Sinne schien das große volle Haar zu sein, welches sie krönte; die gewaltige, tiefschwarze Last, vielfach geflochten und gewunden und

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