Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
versucht, französisch schreiben und denken zu lernen. Aber gerade weil es ihm hiemit bitterer Ernst war und mehr als den Freunden, war auch sein Verdruß tiefer und gründlicher. In der Sprache, mit
der man geboren, welche die Väter gesprochen, denkt man sein ganzes Leben lang, so fertig man eine andere spricht; und dies anders zu wünschen, die Sprache, in der man sein Geheimstes denkt, vergessen zu wollen, zeigt, wie tief man getroffen ist und wie sehr man gerade diese Sprache liebt.
Aber dessenungeachtet ward er mit jedem Tage träumerischer und deutscher und baute alle Hoffnungen auf das Deutsche; denn seit er in Deutschland war, hatte er die Krankheit überkommen, aller Einsicht zum Trotz das Gegenteil von dem zu tun, was er sprach und Theorie und Praxis himmelweit voneinander zu trennen.
Fünftes Kapitel
Die beste Gelegenheit, ihren Unmut und Groll zu vergessen und sich wenigstens an dem heraufbeschworenen Glanze frühe rer deutscher Herrlichkeit zu erheitern, fanden sie, als die ganze reichgeartete Künstlerschaft sich zusammentat, um in einem großen Schau-und Festzuge für die kommende Faschingszeit ein Bild untergegangener Reichsherrlichkeit zu schaffen; denn es war ein wirkliches Schaffen, nicht mittelst Leinwand, Pinsel, Stein und Hammer, sondern wo man die eigene Person als Stoff ein setzte und in vielhundertfältigem Zusammentun jeder ein lebendiger Teil des Ganzen war und das Leben des Ganzen in jedem einzelnen pulsierte, von Auge zu Auge strahlte und eine kurze Nacht sich selber zur Wirklichkeit träumte.
Es sollte das alte Nürnberg wiederauferweckt werden, wie es wenigstens in beweglichen Menschengestalten sich darstellen konnte und wie es zu der Zeit war, als der letzte Ritter, Kaiser Maximilian I., in ihm Festtage feierte und seinen besten Sohn, Albrecht Dürer, mit Ehren und Wappen bekleidete. In einem einzelnen Kopfe entstanden, wurde die Idee sogleich von achthundert Männern und Jünglingen, Kunstbeflissenen aller Grade, aufgenommen und als tüchtiger Handwerksstoff ausgearbeitet, geschmiedet und ausgefeilt, als ob es gälte, ein Werk für die Nachwelt zu schaffen. Das Vollkommene hat in dem Augenblicke seinen ganzen Wert, wo es geworden ist, und in diesem Augenblicke liegt eine Ewigkeit, welche durch eine Dauer von Jahren nur weggespottet wird; die Künstler empfanden daher in der sachgerechten und allseitigen Vorbereitung eine anhaltend wachsende Lust und Geselligkeit, welche wohl von der Freude der eigentlichen Feststunden überboten wurde, aber in der Erinnerung endlich der hellere und deutlichere Teil vom Ganzen blieb.
Der große Festzug zerfiel in drei einzelne Hauptzüge, von denen der erste die nürnbergische Bürger-, Kunst-und Gewerbswelt, der zweite den Kaiser mit Reichsrittern und Helden und der dritte einen mittelalterlichen Mummenschanz umfaßte, wie von der reichen Stadt dem gekrönten Gast etwa gegeben wurde. In diesem letzten Teile, welcher recht eigentlich ein Traum im Traume genannt werden konnte, in welchem die in historische Vergangenheit sich Zurückträumenden mit den Sinnen dieser Vergangenheit das Märchen und die Sage schauten, hatten die drei Freunde ihren Raum gewählt, um als verdoppelte Phantasiegebilde dem Phantasiebilde der gestorbenen Reichsherrlichkeit vorzutanzen.
Die Töchter, Schwestern und Bräute vieler Künstler hatten sich artig und froh ergeben, dem lebendigen Kunstwerke zum höchsten Schmucke zu gereichen, in manchem Hause waren die Hände geschäftig, schöne Frauenkörper in die weiblichen Prachtgewänder der alten Reichsstadt zu kleiden, und es war nicht das geringste Vergnügen der Künstler, auch hier die Hand anzulegen und, die alten Trachtenbücher und den Weißkunig vor sich, in Stoff, Schnitt und Schmuck die eigensinnigen Neigungen, den unkundigen Modegeschmack der Frauensleute im Zaum zu halten. Wo Liebe mithalf, da spielte der anmutigste Roman in den Sammet-und Goldstoffen und um die Perlenschnüre, und manche zur Probe Vollgeschmückte entzog sich den verlangenden Armen ihres augenseligen Geliebten mit einem Lächeln, welches den weisen Sinn der Schönen verriet, daß sie auf einen bessern Augenblick zu hoffen wisse, wann Pauken und Trompeten ertönten und die glänzenden Paarreihen sich schwängen.
Heinrich sah solchem Glücke halb gleichgültig, halb sehnsüchtig zu und war, als frei und ledig und mit seinen eigenen Sachen handlich und ohne Geräusch bald fertig, anderen dienstbar in ihren vermehrten Geschäften. Es war sein
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