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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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dazwischen bei andern Leuten auf Tagelohn ginge. Zeit sei bekanntlich auch Geld, und es wäre nicht wohlgetan, einen jungen Menschen zu zwingen, jahrelang sich mühselig durchzuschleppen, um das zu erlernen, was er in kürzerer Zeit erreichen könne mit frischem Einsatz eines kleinen Erbgutes. Auf dieses sei man nicht planlos verfallen, sondern man habe von Anfang an darauf gerechnet, es zur rechten Zeit zu verwenden; übrigens möge man den Neffen selbst auch hören und derselbe vorbringen, was er etwa zu bemerken wisse.
    Der Vorsitzende gab mir hierauf das Wort, mit welchem ich, halb schüchtern, halb empört, einige Prahlereien zustande brachte. Die Zeit sei längst vorbei, da die Kunst mit dem Handwerk verbunden gewesen und der Scholare von Stadt zu Stadt habe wandern können wie jeder andere Handwerkegesell. Es gebe jetzo kein solches stufenweises Nacheinander mehr, sondern mit einem einzigen wohlvorbereiteten Erstlingswerke müsse sich der Anfänger auf eigene Füße stellen. Das sei aber nur möglich an einem Kunstorte; dort finde man nicht nur die nötigen Vorbilder für alle Arten der Kunstübung, sondern auch den lehrreichen Wetteifer vieler Mitstrebenden, endlich aber zugleich die Anerkennung des zu Leistenden, den Markt für geschaffene Werke und die Pforte des Wohlergehens für die Zukunft. An dieser Pforte sinke nieder und gehe unter, wer nicht berufen sei, die hehre Flamme des Genius nicht in sich trage, wie zum Beispiel der arme Schlangenspeiser, der vorhin gesehen worden. Die andern aber schreiten kühn hindurch und gelangen rasch zu Wohlstand und Ehre, so daß es noch die Bescheideneren unter ihnen seien, welchen bald der Verkaufspreis eines einzigen Werkes die aufgewendeten Kosten ersetze, den Wertbetrag einer Wiese, eines Weinberges oder Ackerstückes erreiche!
    Wie es das Schicksal des guten Landvolkes ist, daß es in seiner Gläubigkeit immer wieder den großen Worten zuversichtlicher Menschen unterliegt, so wurden auch die Männer durch meine Reden unsicher, wenn nicht etwa gar gelangweilt. Es fand abermals eine kurze Pause statt, während welcher das Gehörte lakonisch beräuspert wurde, worauf der Obmann unversehens sagte, er wolle gewärtigen, ob der Oheim als Vormund auf seinem Antrage beharre; denn am Ende liege es in dessen Befugnis und sei er auch der Mann dazu, ein maßgebendes Wort zu sprechen. Der Oheim bestätigte nochmals seine Meinung mit dem Beifügen Fort müsse ich, das sei notwendig; allein weder sei vorgesehen worden, noch eigne ich mich dazu, wie die Dinge ständen, ohne Mittel auf die Wanderschaft zu gehen und ohne weiteres sofort mein Brot zu suchen. Wären die Mittel nicht da und ich überhaupt ganz verwaist und ohne Freunde, so würde ich mich, das traue er mir zu, frischen Mutes dem Schicksal unterziehen; ohne Not aber zwinge man zu so etwas einen unvorbereiteten Jüngling nicht.
    Auf die Umfrage des Vorsitzenden erwiderten die andern Vorsteher, sie hätten ihre Ansicht nach ihrem Sachverstande geäußert und fühlten sich nicht gedrungen, einen besondern Widerstand zu leisten, zumalen man gern auf Begabung, Fleiß und tugendhafte Führung des in Rede stehenden Herren Vögtlings vertrauen wolle, der freilich, wenn er die Pforte des Wohlergehens zu durchschreiten gedenke, sich vorderhand abgewöhnen müsse, gleich vom bessern Wein zu trinken, wo er absitze.
    Während ich diese Andeutung verschluckte, wurde über die Herausgabe des kleinen Vogtgutes Beschluß gefaßt, derselbe zu Protokoll gebracht und von meinem Oheim mit unterschrieben.
    Die Schirmlade, in welcher die Wertschriften der unter Vormundschaft Stehenden aufbewahrt wurden, befand sich anderer Geschäfte wegen bereits zur Stelle, und die Behörde erklärte, es sei am besten, das Stück jetzt gleich herauszunehmen, so sei man dieser Angelegenheit hoffentlich für immer enthoben.
    Der hölzerne, mit drei Schlössern versehene Kasten wurde auf den Tisch gestellt und geöffnet, indem der Vorsitzende, der Seckelmeister und der Schreiber jeder einen Schlüssel aus der Tasche zog, in das entsprechende Loch steckte und bedächtig umdrehte. Der Deckel ging auf, und da lag nun an einem Häuflein das Vermögen der Witwen und Waisen, gleich einer kleinen Schafherde in der Ecke zusammengedrängt, wie es das Tragen und Rütteln des Kastens gefügt hatte. »Es ist schon viel Schicksal durch diese Lade gegangen!« sagte der Schreiber, als er die Überschriften der verschiedenen Pakete zu lesen begann; es bezogen sich nicht

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