Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
desgleichen man nie weggeben sollte, einfach behalten. Indem sie dergestalt ihre Maßstäbe an die unsichtbare Sache legten, für welche ich die Wiese, den Weinberg, das Wegrecht und das Pergamentlein hingeben wollte, stellte jene sich immer sichtbarer dar, aber als ein nichtiger Nebel, ein ungreifbarer Dunst, und der Älteste gewann den Mut, seine Bedenken mit einem trockenen Hüsteln verziert zu äußern. Ihm folgte einer um den andern.
Es scheine doch, hieß es, nicht ratsam, das einzige und wenige, was man besitze und sicher in der Hand habe, an ein Ungewisses zu tauschen, da es keineswegs verbürgt sei, daß ich meinen Zweck erreichen und das Gewünschte wirklich erlernen werde. Für diesen Fall wäre es vielleicht klüger, jetzt schon anzunehmen, ich besäße das Geld nicht, und mir sonstwie zu behelfen. Dann würde es für Tage der Krankheit, der Not oder Verarmung einst plötzlich willkommen sein und mit Vorsicht verwendet werden können. Man habe auch etwa gehört, daß bedeutende Gelehrte oder Künstler, von frühsten Jahren an in die Welt gestellt, sich durch ihren Arbeitsfleiß haben ernähren und ihre Kunst dabei zugleich erlernen und großmachen müssen, ja daß gerade die dadurch angewöhnte unablässige Tätigkeit und Emsigkeit solchen Leuten ihr Leben lang zustatten gekommen und sie das Größte habe erringen lassen. Dies Lied hörte ich nun zum zweiten Male in meinem kurzen Leben, und es gefiel mir noch immer nicht.
Die Männer, welche also verhandelten, saßen um einen runden Tisch herum und hatten ihr Glas dünnen säuerlichen Weines vor sich stehen; ich dagegen, als der Gegenstand der Beratung, saß allein an einem langen Tische, dessen Ende sich in der Gegend der Türe im Halbdunkel verlor. In dieser Dämmerung hockte der Schlangenmann, der sich unbemerkt hereingeschlichen hatte, während ich mich oben im hellern Lichte befand, ein Fläschchen dunkelroten Weines vor mir. Das war freilich ein großer Taktfehler, obgleich er der Gemeindewirtin zur Last fiel, die mir den Wein vorgesetzt und die ich abzuweisen nicht besonnen genug war. Der Oheim, der bei den Vorstehern saß, trank von dem nämlichen Weine, eines kleinen Magenleidens wegen, wie er den Bauern sagte.
Einer der letztern, der sein Stückchen Weißbrot wie Marzipan behandelte und die auf den Tisch gefallenen Krümchen mit dem Handbissen so sorglich auftupfte, als ob es Goldstaub wäre, fuhr nun fort: Er verstehe nichts von der Sache, aber allerdings schiene es ihm auch zweckmäßiger gewesen zu sein, wenn der junge Mann, statt sich auf das kleine Erbe zu verlassen, die Jahre her, da er bei der Mutter gelebt, sich auf den Erwerb eingeübt und auf die bequemlichste Weise der Welt diejenige Summe zusammengespart hätte, deren er nun bedürfe. So wäre nun bereits für die Zukunft gesorgt; denn wer sich bei guter Zeit angewöhnt habe, an den kommenden Tag zu denken und keine Arbeit ohne Hinblick auf ihren Wert zu verrichten, der könne von dieser Gewohnheit gar nicht mehr lassen und wisse sich überall zu helfen, wie ein Soldat im Felde. Das sei auch eine gute Kunst, die je früher, je besser erlernt werde; er möchte deshalb geradezu raten, daß ich mich frischen Mutes mit einem bescheidenen Reisegelde und dem Vorsatze auf den Weg mache, mich jetzt schon durch die Welt zu bringen. Ich werde doch wohl die ganzen Jahre her irgend etwelche Fertigkeiten erworben haben, oder ob dies nicht der Fall sei?
Auf diese Frage, welche ebenso richtig wie unrichtig gestellt war, wendete sich alles und blickte nach, mir herüber. Der Schlangenfresser war aus seiner Dämmerung allmählich in meine Nähe gerutscht und belauerte aufmerksam meinen Wein und die Verhandlung zugleich; so wurden wir auch alle drei, der rote Wein, der Schlangenfresser und ich, ins Auge gefaßt, und ich fühlte, daß ich so rot wurde wie der Wein, als eine vielsagende Stille eintrat. Das wackere Getränke zeugte gegen meine Bescheidenheit und Sparsamkeit, der Genosse an meiner Seite gegen meine Lebenspläne, und zwar so laut, daß niemand für nötig hielt, ein Wort hinzuzufügen.
Es blieb deshalb, nachdem der Eindringling hinausgeschickt worden, noch ein gutes Weilchen still, bis der Oheim das Wort ergriff, um das festgefahrene Schifflein wieder flottzumachen. Man könne das nicht so nehmen, wie die Herren Vorsteher meinen, sagte er; das wäre, wie wenn ein Bauer sein Scheffel Korn, anstatt es zur Aussaat zu verwenden, aufbewahren wollte, bis eine Hungersnot käme, und
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