Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Erde, so sah man nur den unfertigen Rand einer Stadt, mit Bretterwänden, alten Baracken und Wirtschaftlichkeiten versetzt; die Fenster des Herrn Lys, welche nichts als jene in einer Flut goldenen Lichtes ruhenden idealen Gegenstände zeigten, schienen daher mit sorgfältigem Geschmacke herausgefunden zu sein. Wenigstens wirkte die glänzende Durchsicht der großen Fenster durch eine offenbar bewußte Einfachheit und Ruhe in der Ausstattung der Zimmer in doppeltem Maße.
Zu meiner Verwunderung hatte Lys, der uns freundlich empfing, nichts Holländisches an sich, wie man sich dieses vorzustellen pflegt. Ein mittelgroßer schlanker Mann von vielleicht achtundzwanzig Jahren, war er dunkel an Haar und Augen, letztere von einem fast melancholischen Ausdruck gleich dem hübsch lächelnden Munde. Noch mehr wunderte ich mich, daß das Zimmer, in welchem wir uns befanden, keine Spur von Kunsttätigkeit verriet, vielmehr dem Aufenthalt eines Gelehrten oder Politikers glich. Große, mit Gardinen verhangene Regale bargen eine Menge Bücher, worunter, wie ich später erfuhr, manche Raritäten und erste Ausgaben. An den Wänden hingen nicht etwa Bilder oder Studien, sondern Landkarten, auf einem Tische lag ein Haufen Journale verschiedener Sprachen, und an einem breiten Schreibtische schien Lys soeben gearbeitet zu haben.
»Ich bin mir noch den Nachmittagskaffee schuldig«, sagte er, als wir uns setzten, »halten die Herren mit?«
»Da wir vermuten, er werde nicht schlecht sein, gewiß!« antwortete Erikson für uns beide, und Lys klingelte einem jungen Menschen, der ihn bediente.
Inzwischen sah ich mich immer noch im Raume um, nicht eben im Besitze des guten Tones.
»Der wundert sich auch«, rief Erikson, »wo die Staffeleien und Bilder dieses Kunsttempels seien! Nur Geduld, junger Herr von Strebsam, der Mann zeigt sie uns noch, wenn wir schön bitten! Aber wahr ist es, lieber Lys, bei Ihnen sieht's aus wie im Arbeitszimmer eines großen Publizisten oder eines Ministers!«
Etwas düster lächelnd versetzte der andere, er sei nicht aufgelegt, seine Arbeiten heute noch zu sehen; schon zum dritten Male müsse der Bursche die Paletten unverrichteterdinge abends wieder absetzen, und unter solchen Umständen sei es wohl verzeihlich, daß er nicht gern ins Atelier hinübergehe, sei es allein oder mit Fremden. Wirklich erteilte er dem Diener, als der mit dem Kaffeebrett erschien, den Auftrag. Brett und Geschirr aber glänzten, mit
Ausnahme der chinesischen Tassen, in schwerem Silber und waren in dem nüchternen neugriechischen Stile früherer Jahrzehnte gearbeitet, ein Zeugnis, daß Eltern und Familie des Niederländers von der Erde verschwunden waren und er als allein Übriggebliebener das Erbstück mit sich führte, um einen letzten Schimmer des verlorenen Vaterhauses um sich zu haben. Bei einer späteren Gelegenheit behauptete Erikson vertraulich, Lys bewahre in seinem Schreibtische auch das goldbeschlagene Kirchenbuch seiner Mutter auf.
Das braune Getränke war das feinste, was ich in meinen einfachen Verhältnissen bis anhin genossen; allein das Ungewohnte, ein so kostbares Familiengeräte bei einem fahrenden Künstler in täglichem Gebrauche zu finden, schüchterte mich etwas ein, und als Lys, meine abermals herumschweifenden Blicke bemerkend, mich anredete: »Nun, Herr Lehmann, können Sie sich noch nicht mit dem unmalerischen Anblick meiner Wohnung befreunden?« reizte mich das Vergessen oder Nichtbeachten meines Namens sowie die Weigerung, seine Arbeiten zu zeigen, zu einem kleinen Ausfalle.
Die Art seiner Einrichtung, versetzte ich, werde vielleicht mit einem andern Wesen zusammenhängen, das ich seit einiger Zeit beobachtet habe, nämlich die wunderliche Manier, in welcher die verschiedenen Künste ihre technische Ausdrucksweise vertauschen. So hätte ich kürzlich die Kritik einer Symphonie gelesen, worin nur von der Wärme des Kolorites, Verteilung des Lichtes, von dem tiefen Schlagschatten der Bässe, vom verschwimmenden Horizonte der begleitenden Stimmen, vom durchsichtigen Helldunkel der Mittelpartien, von den gewagten Konturen des Schlußsatzes und dergleichen die Rede sei, so daß man durchaus die Rezension eines Bildes zu lesen glaube; gleich darauf hätte ich den rhetorischen Vortrag eines Naturforschers, der den tierischen Verdauungsprozeß beschrieb, mit einer gewaltigen Symphonie, ja mit einem Gesange der Göttlichen Komödie vergleichen hören, während an einem andern Tische des öffentlichen Lokales
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