Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Verirrung es wollte.
Inzwischen ertönte aus den entlegeneren Räumen des Hauses eine lockende Tanzmusik, wie es von dem jungen Volke und der Karnevalszeit nicht anders zu erwarten war. In einem ehemaligen Wirtschaftssaale war noch die kleine Tribüne der Spielleute vorhanden, mit bunten Teppichen behängt und mit Topfpflanzen verziert worden. Auf diesem Gestelle saßen vier musizierende Kunstgesellen, die ihre Instrumente herbeigeschafft hatten, auf denen sie an manchen Abenden zusammen zu spielen pflegten, als unter sich verbundene, sinnig lebende Leute. Sie wurden die vier frommen Geiger genannt, weil sie teils aus Liebhaberei, teils auch um einen kleinen Nebengewinn zu erzielen, sonntags auf dem Chore einer der vielen Kirchen der Stadt mitspielten. Ihr Hauptmann war ein hübscher bräunlicher Rheinländer von etwas untersetzter Gestalt, mit heitern Augen und treuherzigem Munde, der von krausligem Barte umgeben war. Er hieß bei der Künstlerschaft der Gottesmacher, weil er nicht nur silberne Kirchengeräte von guter Form schmiedete, sondern auch Kruzifixe und Muttergottesbilder sauber in Elfenbein schnitt und zur tieferen Ausbildung in diesen Übungen vom Rheine herübergekommen war. Überall wohlgelitten, bezeigte er keineswegs eine fanatische Gesinnung und wußte eine Menge lustiger Pfaffenstücklein zu erzählen. Dergestalt logierte er in dem katholischen Wesen wie in einer alten Gewohnheit, die nicht zu ändern ist, dachte darüber niemals nach und führte übrigens stets ein Faß eigenen Weines aus der Heimat mit sich, das er schleunigst zum Füllen sandte, wenn es leer geworden.
Der Gottesmacher handhabte das Cello, und zwar in der Tracht eines Winzers aus dem Bacchuszuge; die erste Violine spielte der lange Bergkönig, der seinen Bart beiseite gelegt hatte und nun als ein junger Bildhauer zum Vorschein kam. Er modellierte, wie man sagte, seit zwei Jahren an einer Kreuztragung, konnte aber nicht von einem bekannten klassischen Vorbilde abkommen; dafür strich er um so fertiger die Geige. Die mittleren Spieler waren zwei Glasmaler; sie machten an den Kirchenfenstern die prächtigen Teppichmuster und anderes Beiwerk und ließen sich nie einer ohne den andern sehen. Sie waren zu uns aus dem Zug der Nürnberger Zünfte herübergekommen, wo sie unter den Meistersingern gegangen; ich aber kannte die ganze Musik vom Mittagstische her, den ich in einer billigen Wirtschaft aufzusuchen gewohnt war. Viele gute Brüder lösten sich dort an den stets vollbesetzten Tischen täglich ab; aber die beiden Glasmaler waren die einzigen, welche ihr Geld in rundlichen wohlverschnürten Lederbeutelchen führten; denn sie freuten sich ihres bescheidenen, aber sichern Erwerbes, lebten sparsam und verdienten jeden Sonntag einen Extragulden mit der Kirchenmusik.
Doch heute taten die vier um der Freude willen ein übriges und lockten mit recht wohlgezogenem Tone das Volk zum Tanze. Bald drehte sich ein halbes Dutzend Paare bequemlich im weiten Raume, darunter Agnes mit Lys, in dessen Arm sie mit erwachender Glückseligkeit dahinschwebte, zum ersten Male seit dem Beginne des ganzen Festes. Das Gebet in der Kapelle schien geholfen zu haben; freilich gehörten auch so fromme Spielleute dazu, und besonders der Gottesmacher, der die Gestalt mit glänzenden Augen verfolgte, drückte jedesmal, wenn sie in seine Nähe kam, den Cellobogen mit vollerer und doch weicher Kraft auf die Saiten und gab seinem Wohlgefallen auf diese Weise den zierlichsten Ausdruck. Ich saß ausruhend bei einem Krüglein frischen Bieres an einem Tischchen, beobachtete ihn mit Vergnügen und begriff vollkommen, wie dem Arbeiter in Silber und Elfenbein das feine Wesen einleuchten mußte.
Nun ging es diesem während ein paar Stunden nach Wunsch; die frommen Geiger spielten als Freiwillige nicht zu oft, so daß niemand ermüdet wurde und genugsam Zeit zu geruhiger Unterhaltung übrigblieb. Die Sonne ging dem Untergange entgegen, und im Hause begann es zu dämmern; Erikson erschien an allen Enden gleich einem Haushofmeister und ließ die Lichter anzünden, aufhängen, hinstellen, wie es gehen wollte. Dann verschwand er wieder, um in einem neuern Saale das einfache Abendessen zu ordnen, mit welchem die frohsinnige Witwe ihre Eingeladenen bewirten wollte so gut es sich in der Eile habe tun lassen, teilte der Unermüdliche entschuldigend mit, als ob es bereits seine eigene Angelegenheit wäre.
Lys indessen ging ab und zu, sich anderwärts umzusehen; endlich aber kam er
Weitere Kostenlose Bücher