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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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nachher vor Agnesens Wohnung. Das Pferdegetrampel und Rollen der Räder sowie das plötzliche Stillstehen widerhallte in ungewohnter Weise auf dem still entlegenen Plätzchen, so daß Agnes im selben Augenblicke mit strahlenden Augen ans Fenster fuhr. Als sie mich aussteigen sah, verschleierte sich der Blick wieder, doch harrte sie noch erwartungsvoll, als ich in die Stube trat.
    Ihre Mutter war auch da, beschaute mich von allen Seiten, und indem sie fortfuhr, mit einer alten Straußenfeder ihren Altar, das darüber hängende Bild, die Porzellantassen und Prunkgläser, auch die Wachslichter abzustäuben und zu reinigen, fing sie an zu plaudern: »Ei, da kommt uns ja auch ein Stück Karneval ins Haus, gelobt sei Maria! Welch allerliebster Narr ist der Herr!
    Aber was Tausend habt Ihr denn? was hat Herr Lys nur mit meiner Tochter angefangen? Da sitzt sie den ganzen Morgen, ißt nichts, schläft nicht, lacht nicht und weint nicht! Dies ist mein Bild, Herr, wie ich vor zwanzig Jahren gewesen bin! Doch Sie haben es, glaub ich, auch schon gesehen! Dank unserm Herren und Heiland, man darf es noch betrachten! Sagen Sie nur, was ist es mit dem Kinde? Gewiß hat Herr Lys sie zurechtweisen müssen, ich sag es immer, sie ist noch zu dumm und ungebildet für den feinen Herren! Sie lernt nichts und beträgt sich unschicklich. Ja, ja, sieh nur zu, Agnes! lernst du das von mir? Siehst du nicht auf diesem Bild, welchen Anstand ich hatte, als ich jung war? Sah ich nicht aus wie eine Edelfrau?«
    Ich antwortete auf alles dies mit meiner Einladung, die ich sowohl in Lysens als in Frau Rosaliens Namen ausrichtete; auch brachte ich einige Gründe vor, warum jener nicht selbst kommen könne, indes die Mutter einmal über das andere rief: »So mach, so mach, Nesi! Jesus Maria, wie reiche Leute sind da beisammen! Ein bißchen zu klein, ein bißchen zu klein ist die gnädige Frau, sonst aber reizend! Nun kannst du nachholen, was du gestern etwa versäumt und verbrochen! Geh, kleide dich an, Undankbare! mit den kostbaren Sachen, die Herr Lys dir geschenkt! Da liegt der Halbmond am Boden! Aber zuerst muß ich dir das Haar machen, wenn's der Herr erlaubt!«
    Agnes setzte sich mitten in die Stube, und ihre Wangen röteten sich leise von wiederaufkeimender Hoffnung. Die Mutter frisierte sie nun mit großer Geschicklichkeit. Sie führte nicht ohne Anmut den Kamm, und als ich die hochgewachsene Frau betrachtete und die immer noch schönen Anlagen und Züge ihres Gesichtes sah, mußte ich gestehen, daß ihre Eitelkeit einst berechtigt gewesen sei.
    Agnes saß mit bloßem Halse, von der Nacht der aufgelösten Haare umschattet, und es gewährte mir einen lieblich ruhevollen Anblick, wie die Mutter die langen Stränge kämmte, salbte und flocht und dabei weit zurücktreten mußte. Sie sprach fortwährend, indessen wir andern schwiegen und wohl wußten warum. Ich merkte aus allen den Reden, daß Agnes ihrer eigenen Mutter von dem Unsterne der Nacht noch nichts anvertraut hatte, und entnahm daraus, wie grausam die Sache sie würgen mußte.
    Endlich war das Haar ungefähr so gemacht, wie es gestern gewesen, und Agnes ging mit der Mutter nach ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, das Dianengewand wieder anzuziehen; sobald sie aber damit nur einigermaßen zustande gekommen, erschienen sie wieder und vollendeten den Anzug in meiner Gegenwart, weil die Alte sich unterhalten und soviel möglich von dem Feste, und wie alles verlaufen sei, erfahren wollte. Dann aber kochte sie schnell eine kräftige Schokolade, ihre Lieblingsnahrung, deren Bestandteile nebst Gebäck sie schon seit dem frühen Morgen in Bereitschaft gehalten für den erwarteten Besuch des assyrischen Königs.
    Jetzt mußte das duftende Getränk der genügsamen Frau zugleich das Mittagsmahl versehen, und sie ließ es sich eifrig schmecken, denn sie hatte eine ausreichende Menge gebraut; auch Agnes nahm zwei Tassen zu sich und aß ein gutes Stück Kuchen, und ich hielt vergnüglich mit, obgleich ich schon Verschiedenes genossen hatte. So erlebt der Mensch mancherlei Unterkunft in seinen Tagen; es ist mir kaum mehr glaublich, daß ich einst in solcher Tracht, in einem so kunstreich zierlichen Baudenkmälchen, zwischen der Diana und der alten Sibylle gesessen und friedlich gefrühstückt habe.
    Weil das Wetter so schön war und die Alte es verlangte, um vor ihren Nachbaren zu triumphieren, wurde die Decke des Wagens niedergelassen, als wir wegfuhren, und sie schwenkte ihr Tuch aus dem offenen Fenster unter

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