Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
die Feuchte in den Nacken rieselte. Das doppelt mythologische Geschöpf aber war nun über die schädliche Einwirkung meiner Ketzerei beruhigt; sie ergriff meinen Arm und ließ sich wieder in die Kutsche bringen, deren Lenker seine geistliche Erquickung längst beendigt hatte und zur Weiterfahrt bereit war. Er machte ein kurios lächelndes Gesicht gegen mich, weil er den Volksglauben kannte, der an dem kleinen Gnadenörtchen haftete. Er selbst mochte den weichlichen Liebessegen nur mitgenommen haben, wie ein derberer Trinker etwa aus Versehen ein Gläschen süßen Likörs schnappt, das gerade dasteht.
Der Landsitz, bei dem wir anlangten, war schon ziemlich belebt; in einem geräumigen Gartenland gelegen, zeigte seine gemischte Bauart, daß er früher den Zwecken einer Gastwirtschaft gedient und erst seit neuerer Zeit und jetzt noch in der Umwandlung zum Sommerhaus einer Familie begriffen war, wo ein Pächter oder Wirtschaftsführer zugleich für allerhand haushälterischen Nutzen sorgte. So kam jetzt vorzüglich der gute Rahm bei dem erquicklichen Kaffeetrinken zustatten, welches Frau Rosalie für den Empfang der Gäste veranstaltet hatte. Die Sonne schien so warm, daß mehrere den Trank im Freien, vor den Türen der neueingerichteten Gartenzimmer, genossen, während andere inwendig um die Kaminfeuer oder gar in einer alten Wirtsstube beim geheizten Ofen saßen.
Ich war nicht viel kecker als meine Schutzbefohlene und drang sachte mit ihr vor; doch wurden wir bald von der schönen Wirtin entdeckt, die jetzt in stattlichem Seidenkleide sich munter bewegte und Agnesen unverweilt ins Innere des Hauses führte.
»Die Göttertracht«, sagte sie, »will sich doch nicht recht für unser Klima schicken, besonders für uns Frauen! Gehen wir hinein, wo es ein Feuer gibt!
Auch der König von Babylon oder Ninive, Herr Lys, ist drinnen; denn er würde hier erfrieren.«
Lys hatte es in der Tat mit seinen bloßen Armen und im Batisthabit nicht im Freien ausgehalten und saß nicht eben in bester Laune an einem großen Ofen; auch der Kaffee, für uns andere gut genug, vermochte nicht die Sorgen zu zerstreuen, die auf seiner Stirne lagerten. Die Alltagstracht, in welcher er unerwartet nicht nur Frau Venus, sondern auch Erikson angetroffen, hatte diese Sorgen heraufbeschworen, und mehr noch die rüstige Tätigkeit des guten Freundes, den man bald ein Faß des besten Bieres über den Hof rollen, bald einige Brote zerschneiden oder sonst etwas hantieren sah, als stände er da Tagelohn. Der Anblick Agnesens war dem düstern Assyrer unter solchen Umständen nicht unwillkommen. Er bot ihr sofort freundlich den Arm als einer schicklichen Ergänzung für die Zeit der Einsamkeit oder Abwesenheit Rosaliens, welche sich vor dem Hause aufhielt, um nicht nur die vom Walde herüberkommenden Festgenossen, sondern auch verschiedene ihr verwandte und befreundete Personen zu empfangen; denn auch solche hatte sie in der Schnelligkeit herbeirufen lassen. Gerade die ungewohnte Heftigkeit der Leidenschaft, die Lys befallen, hieß ihn auch, wie einen Kriegshelden im Felde, eine verdoppelte Wachsamkeit üben; er konnte jetzt eine gefährliche Erkältung oder gar tödliche Krankheit nicht brauchen und mußte die Torheit seiner Kleidung durch vorsichtige Zurückhaltung gutmachen; und da diente ihm nun die silberne Diana, deren Gewänder er ja gekauft hatte, trefflich zur Verhüllung seiner Lage.
So war sie jetzt an seiner Seite, in der Heimat ihrer Liebe, und schien zu ihrem Rechte zu kommen. Aber sie zeigte keinen Triumph, keine Überhebung, sondern atmete nur etwas ruhiger auf, die innere Glut bis auf weiteres verschließend; denn sie hatte in kurzer Zeit zu Schlimmes erfahren, um es schon vergessen zu können. Sie ging vielmehr mit gesammeltem Ernste am Arme des schönen Großkönigs durch die Zimmer, der sich scherzend für den alten Nimrod ausgab und behauptete, er habe mit bekanntem Jägerglück die Göttin der Jagd selbst gefangen. Erst als sie an einem großen Spiegel vorübergingen, kannte sie deutlicher seine veränderte, glänzende Tracht und Gestalt, sah sich selber daneben und die Blicke der Anwesenden, welche das eigentlich leuchtende Paar mit Verwunderung vefolgten. Da überflog eine leichte heitere Röte das weiße Gesicht; allein sie hielt sich tapfer zusammen und bewahrte das gleichmütige Aussehen, obschon sie vielleicht die einzige Person im Hause war, auf welche Lysens auffälliger Putz in dem verführerischen Sinne wirkte, wie seine
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