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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Windstöße, welche sie samt ihrem Werke umherwarfen. Erst als ich einen Zweig brach und das ganze Gebäude plötzlich hinwegstreifte, floh sie vor der höheren Gewalt in das Gebüsche. Nun wird sie für heute genug haben! dachte ich und ging weiter. Als ich aber eine Viertelstunde später an demselben Ort vorüberkam, hatte die Spinne schon ein neues Werk begonnen und bereits die Radialtaue gespannt. Jetzt zog sie die feineren Querfäden, zwar nicht mehr so gleichmäßig und zierlich wie die zerstörten; es gab lockere oder zu enge Stellen, hier fehlte eine Linie, dort zog sie eine solche zweimal, kurz, sie betrug sich wie einer, über den Schweres und Hartes ergangen ist und der sich bekümmert und mit zerstreuten Sinnen wieder an die Arbeit gemacht hat. Ja freilich, es war unverkennbar, die kleine Kreatur sagte sich: Es hilft nichts! Ich muß in Gottes Namen wieder anfangen!
    Hierüber erstaunte ich nicht wenig; denn eine solche Entschlußfähigkeit in dem winzigen Gehirnchen erhob sich beinahe zu der menschlichen Willensfreiheit, die ich behauptete, oder sie zog diese zu sich herunter in den Bereich des blinden Naturgesetzes, des leidenschaftlichen Antriebes. Um diesem zu entrinnen, erhöhte ich sofort meine sittlichen Ansprüche, da es beim Bau von Luftschlössern auf ein Mehr oder Weniger an Unkosten ja niemals ankommt. Ob auch Luftschlösser sich verwirklichen oder ob sie mindestens dazu dienen, eine goldene Mittelstraße zu schützen, wie das römische Castrum einst den Heerweg, wird wohl das Geheimnis einer Erfahrung sein, welches erworbene Bescheidenheit nicht immer preisgibt.
    So war ich also mit dem glänzenden Schwerte der Willensfreiheit bewaffnet, ohne aber ein Fechter zu sein. Daß ich erst beabsichtigt hatte, einige anatomische Einsicht behufs der Darstellung der menschlichen Gestalt zu holen, wußte ich fast nicht mehr und unterließ jedes weitere Vorgehen in dieser Richtung. Ohne zu wissen, wie es geschehen, war ich schon im gleichen Sommer in ein vorbereitendes Kollegium über Rechtswissenschaft geraten und hatte nur wenige Stunden versäumt, da mir bald unerträglich dünkte, das nicht zu kennen, wovon ich vor kurzem nichts gewußt und was niemand von mir verlangte. Von neuen Bekanntschaften, die ich dabei gemacht und die jetzt in die Ferien gereist, hatte ich Bücher geliehen und das eine oder andere auch selbst erworben. Darin las ich nun tage-und nächtelang, als ob eine Prüfung vor der Türe stände, und als im Herbste die Säle sich wieder auftaten, fand ich mich bei dem ersten Lehrer des römischen Rechtes als Hörer ein, keineswegs in der Absicht, etwa ein Jurist zu werden, sondern lediglich, um zu erfahren, was es mit diesen Dingen auf sich habe, und die Textur derselben zu sehen.
    Meines Bleibens war hier freilich nur so lange, bis ich ein vernünftigeres Gelüste nach der Geschichte des römischen Staates und Volkes überhaupt empfand, und von hier aus lag es nahe, die Hand auch nach den griechischen Geschichten auszustrecken, welche ich in ihrer ersten dürftigen Schulgestalt mitten im Kurs einst mußte fahrenlassen, als ich aus der Schule geschickt worden. Ich verhielt mich jetzt sehr still und ruhig und ließ die Herrlichkeiten mit frohem Behagen auf mich wirken, niemals ohne mir die schönen Landschaften, die Inseln und Vorgebirge zu vergegenwärtigen, wenn ihre wohllautenden Namen genannt wurden.
    Unversehens aber stieß ich auf die Bände deutscher Rechtsaltertümer, Weistümer, Sagen und Mythologie, welche damals in der Blüte ihres Ruhmes standen; hier führten alle Pfade wieder in die Urzeit der eigenen Heimat zurück, und ich lernte mit neuer Verwunderung die wachsende Freude an Recht und Geschichte derselben kennen. Zu jener Zeit begann auch schon am Horizonte der Brünhildenkultus als Sehnsucht nach der Germanenjugend aufzutauchen und den Schatten der wackeren Hausfrau Thusnelda zu verdrängen, wie die dämonische Medea dem überreizten Sinne besser gefällt als die menschliche Iphigenia. Insbesondere manchem schwächlichen Ritterlein schien für das Herzensbedürfnis die unverstandene gewaltige Heldenjungfrau gerade gut genug, und sie wurde in ihren Wolkenschleiern nachträglich vielfach angeliebelt. Immerhin aber warf das glänzende Luftbild helle Lichtstreifen über die Landschaften der Vorzeit und rief das Gegenpostulat der Siegfriedsgestalt wach, die im Schatten der Wälder verborgen schlief.
    So phantasiegeborne Anschauungen verzogen sich jedoch bald vor Gedanken

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