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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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nüchterner Art, als ich mich mehr an das Betrachten der Geschichte gewöhnte und ich wie ein neuer Sancho Pansa beinahe mit ein paar platten Sprichwörtern ausreichte, um die Ergebnisse zusammenzufassen. Ich sah, daß jede geschichtliche Erscheinung genau die Dauer hat, welche ihre Gründlichkeit und lebendige Innerlichkeit verdient und der Art ihres Entstehens entspricht. Ich sah, wie die Dauer jedes Erfolges nur die Abrechnung der verwendeten Mittel und die Prüfung des Verständnisses ist und wie gegen die ununterbrochene Ursachenreihe auch in der Geschichte weder Hoffen noch Fürchten, weder Jammern noch Toben, weder Übermut noch Verzagtheit etwas hilft, sondern Bewegung und Rückschlag ihren wohlgemessenen Rhythmus haben. Ich versuchte daher achtzugeben auf dieses Verhältnis in der Geschichte und verglich den Charakter der Ereignisse und Zustände mit ihrer Dauer und dem Wechsel ihrer Folge welche Art von länger anhaltenden Zuständen z.B. ein plötzliches oder aber ein allgemaches Ende nehmen oder welche Art von unerwarteten, rasch einfallenden Ereignissen dennoch einen dauernden Erfolg haben? welche Bewegungsarten einen schnellen oder langsamen Rückschlag hervorrufen, welche von ihnen scheinbar täuschen und in die Irre führen und welche den erwarteten Gang offen gehen? in welchem Verhältnisse überhaupt die Summe des moralischen Inhaltes zu dem Rhythmus der Jahrhunderte, der Jahre, der Wochen und der einzelnen Tage in der Geschichte stehe? Hiedurch dachte ich mich zu befähigen, schon im Beginn einer Bewegung je nach ihren Mitteln und nach ihrer Natur die Hoffnung oder Furcht zu beschränken, die auf sie zu setzen war, wie es einem besonnenen freien Weltbürger geziemte. Denn »wie man's treibt, so geht's!« meinte ich, sei auch in der Geschichte glücklicherweise kein Gemeinplatz, sondern eine eiserne Wahrheit. Für das gegenwärtige Leben sei daher die Erkenntnis nützlich alles, was wir an unsern Gegnern tadelnswert und verwerflich finden, das müssen wir selber vermeiden und nur das an sich Rechte tun, nicht allein aus Neigung, sondern recht aus Zweckmäßigkeit und geschichtlichem Bewußtsein.
    Mein liebster Aufenthalt waren nun die Stätten, wo gelehrt wurde, und ich trieb mich als eine Art von Halbstudent um, der da alles zu vernehmen und zu sehen begehrte, gleich einem jungen Herrensohn, der zu seiner allgemeinen Ausbildung auf der hohen Schule weilt, sonst es aber gerade nicht nötig hat.
    Wo von Physikern, Chemikern, Zoologen oder Anatomen merkwürdige Demonstrationen angekündigt und von Redemeistern besonders berühmte Kapitel abgehandelt wurden, befand ich mich stets im Strome der Neugierigen, welche sich hinzudrängten. Und nach bestandenem Abenteuer war ich inmitten der Studentenhaufen zu sehen, wenn sie vor Tisch ihre burschikosen Frühschoppen tranken. Denn erst jetzt handelte ich dem Rate des Eichmeisters zuwider, vor Abend niemals ins Wirtshaus zu gehen, weil es mich trieb, über das Erfahrene sprechen zu hören und mich selbst auszusprechen. Zuweilen gedieh ich im Eifer sogar zum lauten Wortführer, fast genau wie zu jener Zeit, als ich meine Sparbüchse verschwendete, ein Großsprecher unter den Knaben war und einem tragischen Unheil entgegenging.
Drittes Kapitel
    Lebensarten
    Es gab allerdings wieder eine Sparbüchse, welche ihrer Verwendung harrte.
    Am Tage nach meiner Abreise vor nunmehr länger als drei Jahren hatte die Mutter sogleich ihre Wirtschaft geändert und beinahe vollständig in die Kunst verwandelt, von nichts zu leben. Sie erfand ein eigentümliches Gericht, eine Art schwarzer Suppe, welches sie jahraus, jahrein, einen Tag wie den andern um die Mittagszeit kochte, auf einem Feuerchen, welches gleichermaßen fast von nichts brannte und eine Ladung Holz eine Ewigkeit dauern ließ. Sie deckte an den Werktagen nicht mehr den Tisch, da sie nun ganz allein aß, nicht um die Mühe, sondern die Kosten der Wäsche zu sparen, und setzte ihr Schüsselchen auf ein einfaches Strohmättchen, das immer sauber blieb, und indem sie ihren abgeschliffenen Dreiviertelslöffel in die Suppe tauchte, rief sie pünktlich den lieben Gott an, denselben für alle Leute um das tägliche Brot bittend, besonders aber für ihren Sohn. Nur an den Sonn-und Festtagen deckte sie den Tisch mit reinlichem Weißlinnen und setzte ein Stückchen Rindfleisch darauf, welches sie am Sonnabend eingekauft. Diesen Einkauf selber machte sie weniger aus Bedürfnis – denn sie hätte sich für ihre Person auch am

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