Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Sonntage noch mit der spartanischen Suppe begnügt, wenn es hätte sein müssen – als vielmehr, um einen Zusammenhang mit der Welt und die Gelegenheit zu haben, wenigstens einmal die Woche auf dem alten Markte zu erscheinen und den Weltlauf zu sehen.
So marschierte sie denn still und eifrig, ein Körbchen am Arme, erst nach den Fleischbänken; und während sie dort klug und bescheiden hinter dem Gedränge der großen Hausfrauen und Mägde stand, die lärmend und verwegen ihre Körbe füllen ließen, stellte sie kritische Betrachtungen über das Behaben der Weiber an und ärgerte sich sonderlich über die munteren leichtsinnigen Dienstmägde, welche sich von den lustigen Metzgerknechten also betören ließen, daß diese während des Scherzes und Gelächters unvermerkt eine ungeheure Menge Knochen und Luftröhrenfragmente in die Waagschale warfen, so daß es die Frau Elisabeth Lee fast nicht mit ansehen konnte. Wenn sie die Herrin solcher Mädchen gewesen wäre, so hätten diese ihre Verliebtheit an den Fleischbänken teuer büßen und jedenfalls die Knorpeln und Röhren der trügerischen Gesellen selbst essen müssen. Allein es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und diejenige, welche von allen anwesenden Frauen vielleicht die gestrengste gewesen wäre, hatte dermalen nicht mehr Macht als über ihr eigenes Pfündlein Fleisch, das sie mit Umsicht und Ausdauer einkaufte.
Sobald sie es im Körbchen hatte, richtete sie ihren Gang nach dem Gemüsemarkt am Wasser und erlabte ihre Augen an dem Grün der Kräuter, den bunten Farben der Früchte, an allem, was aus Gärten und Feldern herbeigeschafft war. Sie wandelte von Korb zu Korb und über die schwanken Bretter von Schiff zu Schiff, das aufgehäufte Wachstum übersehend und an dessen Schönheit und Billigkeit die Wohlfahrt des Staates und dessen innewohnende Gerechtigkeit ermessend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die grünen Landstriche und die Gärten ihrer Jugend auf, in welchen sie einst selbst so gedeihlich gepflanzt hatte, daß sie zehnmal mehr wegzuschenken imstande war, als sie jetzt bedächtig einkaufen mußte. Hätte sie noch große Vorräte für einen zahlreichen Haushalt zu ordnen gehabt, so würde das ein Ersatz gewesen sein für das Säen und Pflanzen; aber auch der war ihr genommen und die Handvoll grüner Bohnen, Spinatblättchen oder gelber Rübchen, welche sie endlich in ihr Körbchen tat, nachdem sie manchen scharfen Zuspruch wegen Überteuerung ausgeteilt, für sie nur ein notdürftiges Symbol der Vergangenheit, samt dem Büschelchen Petersilie oder Schnittlauch, das sie als Dreingabe erkämpfte.
Das weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hause gegolten, hatte sie auch abgeschafft und bezog alle acht Tage ein billigeres rauhes Brot, welches sie so sparsam aß, daß es zuletzt steinhart wurde; aber zufrieden dasselbe bewältigend, schwelgte sie ordentlich in ihrer freiwilligen Askese.
Um die gleiche Zeit wurde sie karg und herb gegen jedermann, im gesellschaftlichen Verkehr vorsichtig und zurückhaltend, um alle Ausgaben zu vermeiden; sie bewirtete niemanden oder, wenn es geschah, so knapp und ängstlich, daß sie bald für geizig und ungefällig gegolten, hätte sie nicht durch eine verdoppelte Bereitwilligkeit mit dem, was sie durch die Mühe ihrer Hände, ohne andere Kosten, bewirken konnte, jene herbe Sparsamkeit aufgewogen.
Überall, wo sie mit Rat und Tat beistehen konnte, war sie immer wach und rüstig bei der Hand, keine Ausdauer scheuend, und da sie für sich bald fertig war, so verwendete sie eine schöne Zeit zu solchen Dienstleistungen, bald in diesem, bald in jenem Hause, wo Krankheit oder Tod die Menschen bedrängten.
Aber überallhin brachte sie ihre genaue Einteilungskunst mit, so daß die behäbigeren Leute, während sie dankbar sich die unermüdliche Hilfe gefallen ließen, doch hinter ihrem Rücken sagten, es wäre doch eigentlich eine Sünde von der Frau Lee, daß sie gar so ängstlich, so spröde sei und dem lieben Gott nichts überlassen könne oder wolle. Sie hingegen überließ freilich der Vorsehung Gottes alles, was sie nicht verstand, vorerst die Verwickelungen der moralischen Welt, mit denen sie nicht viel zu tun hatte, weil sie sich nicht in Gefahr begab. Nichtsdestoweniger war Gott ihr auch der Grundpfeiler in der Ernährungsfrage; aber diese schien ihr so wichtig, daß sie niemals zauderte, sich zuerst selber zu wehren, so daß es den Anschein gewann, als ob sie nur auf sich
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