Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
meinem Schmalhöfer an, ihm einen guten Tag zu wünschen. Er blickte mir sofort auf die leeren Hände; ich sagte jedoch, ich hätte nichts mehr zu veräußern.
    »Nur munter, Freundchen!« rief er und nahm mich bei der Hand; »wir wollen sogleich eine Arbeit beginnen, die sich sehen lassen wird! letzt sind wir gerade auf dem rechten Punkt, da darf nicht gefeiert werden!« Und er führte und schob mich in ein noch dunkleres Verlies, das hinter dem Laden lag und sein Licht nur durch eine schmale Schießscharte empfing, die in der feuchten schimmligen Mauer sich auftat. Nachdem ich mich einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt, erblickte ich das Gewölbe angefüllt mit einer Unzahl hölzerner Stäbe und Stangen, ganz neu, rund und glatt gehobelt, von allen Größen, lastweise an den Wänden stehend. Auf einer uralten Feueresse, dem Denkmal irgendeines Laboranten, der vielleicht vor hundert Jahren hier sein Wesen getrieben, stand ein Eimer voll weißer Leimfarbe inmitten mehrerer Töpfe mit anderen Farben, jeder mit einem mäßigen Streicherpinsel versehen.
    »In vierzehn Tagen«, lispelte und schrie der Alte abwechselnd, »wird die Braut des Thronfolgers in unsere Residenz einziehen! Die ganze Stadt wird geschmückt und verziert werden, Tausende und Abertausende von Fenstern, Türen und Gucklöchern werden mit Fahnen in unsern und den Landesfarben der Braut besteckt; Fahnen von jeder Größe werden die nächsten zwei Wochen die gesuchteste Ware sein! Schon ein paarmal hab ich die Unternehmung bestanden und ein gut Stück Geld verdient. Wer der erste, Schnellste und Billigste ist, hat den Zulauf. Drum frisch dran hin, keine Zeit ist zu verlieren!
    Habe mich schon vorgesehen und Stöcke machen lassen, weitere Lieferungen sind bestellt, das Zuschneiden des Tuches und das Nähen wird ebenfalls beginnen. Ihr aber, Freundchen, seid wie vom Himmel ausersehen, die Stangen anzustreichen! Bst! nicht gemuckst! Hier für diese großen gebe ich einen Kreuzer das Stück, für diese kleineren einen halben; von diesen ganz kleinen aber, welche für die Mauslöcher und Blinzelfensterchen der armen Reichsleute und Untertanen bestimmt sind, müssen vier Stück auf den Kreuzer gehen! Jetzt aber merkt auf, wie das zu machen ist, alles will gelernt sein!«
    Er hatte schon mehrere Stänglein halb und ganz vorgearbeitet; nachdem der Stecken mit der weißen Grundfarbe bestrichen, welche für beide Königreiche dieselbe war, wurde er mit einer Spirallinie von der anderen Farbe umwunden.
    Der Alte legte eine der grundierten Stangen in die Schießscharte, hielt sie in der linken Hand waagrecht, und indem er, den Pinsel eintauchend, mich aufmerksam machte, wie dieser weder zu voll noch zu leer sein dürfe, damit eine sichere und saubere Linie in einem Zuge entstände, begann er die Stange langsam zu drehen und von oben an die himmelblaue Spirale zu ziehen, womöglich ohne zu zittern oder eine unvollkommene Stelle nachholen zu müssen. Er zitterte aber doch, auch geriet ihm der weiße Zwischenraum und die Breite der blauen Linie nicht gleichmäßig, so daß er das mißslungene Werk wegwarf und rief: »Item! auf diese Art wird's gemacht! Eure Sache ist es nun, das Ding besser anzugreifen; denn wozu seid Ihr jung?«
    Ohne mich einen Augenblick zu besinnen, ergriff ich einen Stab, legte ihn auf und versuchte neugierig die seltsame Arbeit, und bald ging sie gut vonstatten. Eifrig fuhr ich fort, bis um die Mittagszeit; als ich da aus dem Finsterloche hervortrat, fand ich den Alten zwischen drei oder vier Nähterinnen hausend, denen er das Fahnenzeug zumaß und hundert Lehren erteilte, wie sie zwar nicht liederlich, doch auch nicht zu gut nähen sollten, sondern so, daß die Arbeit rüstig vorrücke und die Fahnen dennoch zusammenhielten, wenn sie im Winde flatterten, ohne daß sie hinwiederum eine Ewigkeit zu dauern brauchten. Die Weiber lachten, und ich lachte auch, als ich hindurchging und das Männchen mir nachrief, in einer Stunde unfehlbar wieder dazusein. Das geschah, und ich brachte die folgenden Tage bis ans Ende mit der neuen Beschäftigung zu.
    Draußen glänzte anhaltend der lieblichste Spätsommer; Sonnenschein lag auf der Stadt und dem ganzen Lande, und das Volk trieb sich bewegter als sonst im Freien herum. Der Laden des Meister Joseph war fortwährend angefüllt mit Leuten, welche Fahnen holten oder bestellten, mit zuschneidenden und nähenden Mädchen, mit Tischlern, die frische Stangen brachten; der Alte regierte und lärmte in bester

Weitere Kostenlose Bücher