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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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ihre leichte Last, weich wie eine Flaumfeder, wenn sie einem Geiste gleich dahinflog. Mußten wir aber anhalten, so sah ich bloß die wohlwollend warmen Augen und das zufriedene Lächeln ihres Mundes, während sie mir die gelockerte Halsbinde ordnete oder mich aufmerksam machte, daß am Hemde ein Knopf fehle. Ein heißes Leben schien in dem zartgegliederten Geschöpfe zu atmen und sich als hingebende Güte zu äußern für alles, was ihm nahetrat.
    Eine mir rätselhafte Zärtlichkeit begann das Wesen von den Augen bis in alle Fingerspitzen zu überwallen, ohne mit einer Spur von falscher Schmeichelei oder gar Gemeinheit vermischt zu sein; vielmehr war ihr Regen und Bewegen bei alledem so in anmutige Bescheidenheit gehüllt, daß in dem Gedränge der Tanzenden keine Seele etwas davon wahrnahm. Und doch schien sie nicht der mindesten Vorsicht oder Selbstbeherrschung zu bedürfen.
    Als durch das Ungeschick einiger Leute der Tanz ins Stocken geriet und Hulda an mich gedrückt wurde, verspürte sie meine klopfenden Pulse, legte die Hand an meine Brust, nickte mit großer Freundlichkeit und sagte: »Lassen's schaun, haben's wirklich ein Herz?«
    »Ich glaube, ja!« antwortete ich und sah das liebreizende, ganz nahe Gesicht mit offenem Munde an. Sie nickte nochmals, und wir wollten in dem wieder gelösten Tanzwirbel dahinfahren, als Huldas Freundin uns fand, anhielt und ihr Hut und Tuch mit der Ankündigung übergab, sie wolle jetzt heimgehen, da sie in der Frühe wieder zur Arbeit müsse.
    »Auch ich muß um sieben Uhr dahinter sein!« rief Hulda lachend; »denn ich habe wegen der Fahnenschneiderei meine gewohnte Kundschaft vertröstet und soll's nun nachholen! Aber ich mag doch nicht gleich jetzt nach Hause!«
    »Nun, du kannst ja noch ein Weilchen bleiben«, sagte die andere, »unser guter Bekannter und Freund geleitet dich nachher schon sicher heim, nicht wahr, Sie sind so gut, Herr Stangenmacher?«
    Ich versprach gern, den Dienst zu übernehmen, worauf das letzte der Liebespaare sich verabschiedete, Hulda dagegen mit mir an den verlassenen Tisch zurückkehrte. Wir saßen nun allein unter den Silberpappeln; der Mond stand hoch am Himmel, uns daher nur noch durch den grauen Schimmer bemerkbar, der in den obersten Gewölben der Baumkronen lagerte; unten war es ziemlich dunkel, denn auch der Fluß glänzte nicht mehr an jener Stelle, und die Laterne war erloschen.
    »Da wollen wir noch ein klein wenig ausruhen und dann auch gehen!«
    sagte sie und lehnte sich ohne Bedenken in meinen Arm, den ich um ihre Hüften legte. Ich zog indessen den Arm zurück, um ein Glas Punsch oder heißen Wein herbeizuschaffen. Allein sie verhinderte mich und stellte selbst die alte Lage wieder her.
    »Nicht trinken!« sagte sie leis, »die Lieb ist eine ernstliche Sach und will nicht betrunken sein, auch wenn sie nur Scherz ist!«
    »Was wissen Sie denn schon so viel von Liebe, schönstes Kind, das ja in der Tat fast noch ein Kind ist?«
    »Ich? Gerade siebzehn Jahre bin ich! Seit fünf Jahren steh ich ganz einzig in der Welt und habe mich jeden Tag, vom zwölften Jahr an, mit Arbeit ehrlich erhalten und viel erfahren. Darum lieb ich die Arbeit, sie ist mir Vater und Mutter! Und nur eines gibt's, das ich ebenso liebhabe, nämlich die Liebe. Eher sterben als nicht lieben!«
    »Ei, du süßes Zuckerbrot!« sagte ich und suchte den rosigen Mund zu erkennen, welcher solche Worte hervorbrachte.
    »Bin ich?« flüsterte Hulda; »glaubten Sie, ich sei von dem Holz, aus welchem man Essig macht? Schon zwei Liebhaber sind in diesem Herzen gewesen!«
    »Himmel, schon zwei! Wo sind sie hin?«
    »Nun, der erste war noch zu jung und hier in der Fremde; der mußte weiterwandern und hat mir dann geschrieben, daß er in der Heimat ein Liebchen habe, das er einst heiraten werde. Da gab's Tränen; aber das konnte mir nicht helfen. Dann kam der zweite, der wollte aber nicht arbeiten, und ich mußt ihn beinah ganz erhalten; das ging nicht auf die Dauer, auch schämt ich mich für ihn und ließ ihn laufen! Denn wer nicht arbeitet, soll nicht nur nicht essen, sondern braucht auch nicht zu lieben!«
    »Und läuft dieser hier in der Stadt herum?«
    »Leider nicht, denn er ist eingesperrt, weil er etwas Schlechtes verübt hat, als ich ihm nichts mehr gab. Darüber hab ich mich so geschämt und gegrämt, daß ich ein halbes Jahr lang niemand anzusehen wagte!«
    »Aber jetzt kann's wieder angehen?«
    »Gewiß! Wer wollte sonst leben?«
    Ich wurde immer verwirrter, das

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