Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Schlichte Arbeit, goldene Liebe bei zufriedenem Brot, was willst du mehr! Und kann am Ende nicht noch etwas Besseres dabei herauskommen, insofern es irgend zu wünschen ist?
Als wir endlich vor der Haustüre der Hulda anlangten, war ich überzeugt, ein echtes und glückhaftes Abenteuer erlebt zu haben, und versprach, am nächsten Samstagabend unfehlbar dazusein. Andere spät Heimkehrende verhinderten eine letzte Abschiedszärtlichkeit, und sie schlüpfte nach einigen höflichen Dankesworten für die Begleitung rasch neben jenen hinein.
Der Mond näherte sich seinem Untergange. Ein starker Wind bewegte die Tausende von Fahnen in den stillgewordenen Straßen, daß es überall, in der Tiefe und auf der Höhe der Häuser und Türme, wallte und flatterte, wie von Geisterhänden bewegt. Aber auch in meinem Innern, durch alle Adern wogte und rauschte erst jetzt die erwachte Leidenschaft, wild und sanft, süß und frech zugleich, die Hoffnung, ja Gewißheit, in wenigen Tagen von einem Schatze geheimer Glücksgüter Besitz zu nehmen, die ich mir vor Stunden noch nicht hätte träumen lassen.
So kehrte ich in meine verödete Wohnung zurück, die ich seit der letzten Morgenfrühe nicht mehr betreten hatte.
Sechstes Kapitel
Heimatsträume
Der Tod war in dem Hause eingekehrt, in welchem ich wohnte; ich mußte ihm sozusagen auf der Treppe begegnet sein. Am Nachmittage war die Wirtin in die Wochen gekommen, und nun lag sie mit zerstörtem Leben in der matt erleuchteten Stube neben einem toten Kinde. Ich mußte an der offenen Türe vorübergehen; eine Wehmutter und eine Nachbarin räumten auf und beschwichtigten die weinenden Kinder, die aus ihrer Schlafkammer hervorgebrochen waren. Auf einem Stuhle saß der kurz vor mir heimgekehrte Mann, der seit dem Mittage den Aufzügen und Lustbarkeiten nachgegangen und erst kurz vor mir angekommen, da man ihn an den gewohnten Orten nirgends hatte finden können. Er übte seinen Beruf außer dem Hause auf mir unbekannte Art, und was er verdiente, brauchte er zum größten Teil für sich allein. Die tote Frau war der Eckstein und die Erhalterin der Familie gewesen.
Nun saß der Mann wortlos, ratlos und bleich mitten in dem Jammer; denn die Röte der herumschweifenden Heiterkeit war gründlich aus seinem Gesichte gewichen, und statt den Schlaf suchen zu können, mußte er wach bleiben, ohne zu nützen oder zu helfen. Er betrachtete mit scheuem Blicke das in ein Tüchlein gewickelte undeutliche Wesen, welches in einem Getümmel von Schmerzen und Leiden vergangen war, noch eh es den Tag gesehen. Er schüttelte schaudernd den Kopf und schaute auf die Mutter; die lag starr und teilnahmlos, wie es einer erfahrenen Toten geziemt; weder Mann noch Kinder noch Nachbaren rührten sie; selbst das Kleine an ihrer Seite ging sie nichts an, trotzdem sie vor kurzem noch ihr Leben für dasselbe geopfert hatte.
Die Kinder, welche während der Todesnot eingesperrt und vernachlässigt worden, hungerten und schrieen mitten in ihren erbärmlichen Klagen um die Mutter nach Nahrung, bis der Mann sich aufraffte und mit gelähmten Gliedern herumtastete, wo die Frau die letzte Speise mochte besorgt oder gelassen haben. Er sah sich unfreiwillig nach ihr um, als ob sie rufen müßte Dort geh hin, da steht die Milch, dort liegt das Brot, in der Mühle steckt noch der Kaffee! Sie sagte aber nichts.
Erschüttert trat ich dem Jammer näher und fragte, ob ich irgend etwas tun könne. Eine der Frauen sagte, die Ärzte hätten die sofortige Überführung nach dem Leichenhause anbefohlen; es wäre gut, wenn die Leichen gleich in der Frühe geholt würden, allein niemand sei da, wenn der Mann nicht hingehe, die Bestellung zu machen. Ich anerbot mich, die Sache zu verrichten, und zog zehn Minuten später die Glocke an der Wachstube des Todes. Nachdem ich dem Wächter das Nötige mitgeteilt, blickte ich durch eine Glastüre in den Saal, wo sie von allen Ständen und Lebensaltern ausgestreckt lagen, wie Marktleute, die den Morgen erwarten, oder Auswanderer, die am Hafenplatz auf ihren Siebensachen schlafen. Darunter sah ich auch ein junges Mädchen auf Blumen ruhen. Die kaum erblühte Brust warf zwei blasse Schatten auf das Totenhemd; da erinnerte ich mich dessen, was ich in dieser Nacht schon erlebt und mir vorgenommen, und eilte, voll Zweifel und Unruhe, Schrecken und Müdigkeit, den Schlaf zu finden.
Derselbe war aber stürmisch bewegt und unerquicklich. Bald von den traurigen Vorgängen im Hause geweckt, bald von
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