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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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halbwachen Traumbildern umfangen, in denen Lebendiges und Grabfertiges, buhlende Liebesworte und Totenklagen sich unablässig vermischten, atmete ich auf, als es Tag wurde und ich wenigstens meine Gedanken sammeln konnte.
    Sie gerieten jedoch sofort miteinander in Streit; denn als ich mich aufrichtete und, die Hand an der Stirne, mich besann, was eigentlich geschehen und was ich zunächst tun wollte, schwankte ich, ob ich vor den ernsten Todesschatten, die mich gewarnt, zurückweichen oder dem Liebesbild dennoch folgen solle, das mich in Gestalt der arbeitenden Armut lockte. Die Verlockung blieb siegreich; es schien mir gerade das Beste zu sein, an dem weichen Busen eines jungen Lebens Trost und Vertrauen und mich selbst wiederzufinden, und je ernster das Gewissen warnte, in solcher Lage den Liebeshandel anzufangen und ein so bedenkliches Bündnis einzugehen, desto reichlicher flossen die Gründe des Worthaltens, der Ehre und Tapferkeit für die Ausführung des Vorsatzes. Ich beschloß sogar, das reizvolle Geschöpf schon am nächsten Abend aufzusuchen statt erst zu Ende der Woche, vorher aber den alten Trödler zu beraten, ob er mir ferner dergleichen anspruchlose Beschäftigung zuzuwenden wisse wie neulich.
    So schritt ich mit lebensdurstigen Augen und Lippen aus der Trauerwohnung hinweg, aus welcher schon vor Stunden die Leiche der Mutter und ihres letzten Kindes fortgebracht worden. Ich achtete nicht der verlassenen Kleinen, die bei offener Türe still an einem Häuflein saßen. Wie ich dann aus dem Hause trat und die Straße hinuntereilte, stieß ich auf einen jungen Mann, der ein hübsches Frauenzimmer am Arme führte. Beide waren wohlgekleidet in sauberer Reisetracht, augenscheinlich bemüht, eine Hausnummer zu finden, die sie auf einem Zettelchen vor sich hatten. Der Mann kam mir bekannt vor, ohne daß ich in meiner Zerstreutheit etwas dabei dachte; indem ich aber ausweichen wollte, sah er mich genauer an und sagte in den Lauten des Heimatdialektes: »Da ist er ja! Sind Sie nicht der Herr Heinrich Lee, den wir eben suchen?«
    Erfreut und erschrocken zugleich erkannte ich einen benachbarten Handwerksmann unserer Stadt, der vor Jahren ungefähr um die gleiche Zeit mit mir in die Fremde gewandert, längst zurückgekehrt und Meister geworden, sein väterliches Geschäft übernommen und ausgedehnt hatte und jetzt auf der Hochzeitsreise begriffen war. Die machte er aber nicht ohne klügliche Nebenzwecke, da die wohlhabende Bürgerstochter, die er als Gattin am Arme führte, ihm die Mittel für alle ersprießlichen Unternehmungen zugebracht.
    Er richtete mir mm die Grüße meiner Mutter aus, die er zu diesem Zwecke vor der Abreise besucht hatte. Sie war mit einiger Beschämung gezwungen gewesen, dem Nachbaren zu gestehen, daß sie nicht einmal bestimmt wisse, wo ich sei oder ob ich noch am alten Orte wohne; doch wünschte sie um so sehnlicher Nachricht zu erhalten. Ich aber war ebenso verlegen, viel nach ihr zu fragen, weil ich dadurch verriet, daß ich nichts von ihr wisse; doch widerstand ich dem Bedürfnisse nicht lang und fragte fleißig, was mich zu erfahren verlangte.
    »Nun, wir sprechen noch von allem«, sagte der Landsmann, indem er mich aufmerksamer betrachtete. »Ihr habt Euch aber doch ziemlich verändert, nicht wahr, Frau? Du hast doch den Herrn Heinrich früher auch gekannt?«
    »Ich glaube mich zu erinnern, obgleich ich damals noch ein Schulkind war!« erwiderte sie, während mir ihre ausgewachsene Fraulichkeit als vollkommen fremd erschien. Indessen fühlte ich, wie ihr Auge die geringe Pracht meines Anzuges überlief, der allerdings weder neu noch wohlgehalten war; zum ersten Mal fühlte ich die Demütigung, schlecht gekleidet dazustehen, und noch verlegener ward ich, als der Landsmann fragte, ob wir nicht in meine Wohnung hinaufsteigen wollten? Glücklicherweise diente mir der Todesfall zum Vorwand, daß es jetzt dort nicht wirtlich aussehe und ich selbst deswegen ausgegangen sei.
    »So dürfen wir Sie einladen, den Tag mit uns zuzubringen? Wir sind schon gestern angekommen; da hab ich aber Geschäfte besorgt. Morgen früh reisen wir weiter, so werden Sie mit uns nicht eben viel Zeit verlieren; denn wir möchten Sie in Ihren Arbeiten keineswegs aufhalten!«
    Der gute Landsmann ahnte nicht, wie schmerzlich mich diese Rede traf; ich versicherte ihn jedoch, es habe keine Gefahr und ich sei nicht so übermäßig fleißig. Nachdem ich sodann das Reisepaar während einiger Stunden herumgeführt, ging ich

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