Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
weiter?«
»›Die Sonne bleibt am Himmelszelt! es waltet dort ein heil'ger Wille, nicht blindem Zufall dient die Welt!‹ Was soll ich nun davon denken?«
»Nun, wenn wir durchaus Mythologie treiben wollen, so mag die allerliebste Gottheit des Zufalls herrschen, solange sie so artige Streiche macht! Man sollte ihr nur junge Rosen und Mandelmilch opfern, damit sie immer so leicht, so leis und so wohltätig regiert! Jetzt aber sollen Sie auch in aller Ordnung aufgenommen sein, wie es der denkwürdigen Begebenheit und den Umständen gemäß ist! Im Hause hier ist ein einfaches Gastzimmer. Ich will sogleich die nötige Vorkehr treffen, daß Sie sich vorderhand umkleiden können. Bleibe so lang hier, Röschen, daß dem ärmsten Herrn Lee niemand etwas tut!« Worauf sie forteilte.
Ich wußte nicht, ob ich diese neue Wendung für ein Glück erachten sollte, und beschaute seufzend meine Zeichnungen, die ich so unerwartet wiedergefunden, um sie abermals zu verlieren. Das gute Mädchen Rosine, welches sich schnell in die gute Laune der Herrin gefunden und mich für schüchtern halten mochte, sagte freundlich: »Machen Sie sich gar nichts daraus! Der Herr Graf und das Fräulein tun immer, was ihnen beliebt und was recht ist. Und wie sie es tun, so meinen sie es auch und kümmern sich nicht um das, was andere Herrschaften sagen.«
»Also bin ich gar noch bei einem Grafen?« versetzte ich, mehr erschrocken als angenehm überrascht.
»Das wissen Sie nicht? Beim Grafen Dietrich zu W...berg!«
Da kam nun nach allem noch die Unkunde hinzu, mit Leuten mir gänzlich fremder Rangklassen umzugehen; ich hatte in meinem Leben nie mit einem sogenannten Grafen verkehrt und hegte abenteuerliche Vorstellungen von den persönlichen Lebensarten und Ansprüchen solcher Herren, die meinen angeborenen bürgerlichen Gleichheitssinn beeinträchtigten. Bedachte ich aber, daß ich, selbst wenn der Hausherr ein Bauer wäre, in meinen Schuhen schon nicht mehr auf gleichen Füßen mit ihm stände, so geriet ich in neue Verwirrung über die Wendung, die meine Wanderschaft genommen. Das Mädchen fahr jedoch gutmütg fort, mir Mut einzuflößen.
»Der Herr wird sich ganz gewiß verwundern und freuen, Sie so unvermutet zu finden; denn als er seinerzeit die ersten Bilder aus der Residenz gebracht und später immer noch welche anlangten, hat die Herrschaft sie alle Tage betrachtet, und die Mappe mußte immer bereitstehen.«
Nach einiger Zeit kam Dortchen zurück. »Tun Sie mir nun den Gefallen und gehen Sie eine Treppe höher!« sagte sie; »Röschen wird Ihnen hinaufleuchten und ihr Vater die weitere Handreichung tun. Machen Sie sich so bequem, als es in der Schnelligkeit möglich ist, damit Sie in guter Verfassung noch den Papa begrüßen können und ich keinen Verweis wegen versäumter Menschenpflichten erhalte!«
Ich ergriff meine Reisetasche, welche mir Röschen jedoch abnahm und nebst einem Leuchter vorantrug, und so wanderte ich in Gottes Namen in den obern Stock des Gartenhauses und in die Wohnstube des Gärtners. Dieser saß mit dem Küster beim Abendtrunk und empfing mich schon als einen Ankömmling, bei dem alles in Ordnung ist; auch der Küster betrachtete mich jetzt als einen Gast, der wohl empfohlen und erwartet wurde, sich aber offenbar mit der Art seines Auftretens einen eigentümlichen Scherz gemacht hat. Der Gärtner führte mich noch einige Stufen höher, wo auf der dem Schlosse zugewendeten Rückseite des Gartenhauses ein auf hölzernen Säulen ruhendes Sälchen hinausgebaut war. Dies angehängte Lustgebäudchen war außen von den Säulenfüßen bis zum Dache mit purpurrotem Geißblatt bekleidet; inwendig enthielt das Gemach ein Bett und anderes Geräte in so genügender Wahl, daß man nicht nur Nächte, sondern auch Tage darin wohnen konnte.
Auf Stühlen lagen schon bequemliche Kleidungsstücke bereit, deren mich zu bedienen der Gärtner die Einladung ergehen ließ. Um sie nicht anziehen zu müssen, zog ich jedoch vor, mich gleich zu Bette zu legen, zumal ich die Augen zu schließen wünschte, und ich bat den Gärtner, meine nassen Kleider zu holen, sobald jenes geschehen sei, damit sie getrocknet und gereinigt würden. Als ich nach allem diesem endlich im Dunkeln lag, hörte ich Geräusch von Pferden und Wagen, auch Gebell von Hunden. Das war ohne Zweifel der heimkehrende vornehme Herr, vor welchen heute nicht mehr hintreten zu müssen ich als schätzbaren Aufschub betrachtete.
Zehntes Kapitel
Glückswandel
Der Schlaf war so
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