Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Lee!«
    Ich war aber schon so schlaftrunken, daß ich die ersten Augenblicke nicht wußte, wo ich mich befand. Ich sah nur ein reizendes Wesen vor mir stehen, das mit freundlichen Augensternen über ein Bild herblickte. Voll traumhafter Neugierde beugte ich mich vor und starrte auf das Bild, bis mir erst die Waldlandschaft als bekannt erschien und ich mich dann auch meiner Jugendarbeit erinnerte. Es war ein überhöhtes Bild, welches zwischen schlanken Stämmen eine helvetische Schneefirne schimmern ließ. Ich erkannte es besonders auch an einer großen, breit wuchernden Schierlingspflanze, deren weiße, auf tiefem Helldunkel schwebende Blütenbüschel hell vom Lichte gestreift wurden. Diese malerische Pflanze hatte mir in jenen vergangenen Tagen so viel Freude gemacht, daß ich sie mit glücklicherm Fleiße als gewöhnlich nachgebildet, und sie war auch so reichhaltig und gelungen in ihren speziellen Stengel-und Blätterkünsten, daß ich nie einer zweiten Schierlingsstudie bedurfte, solang ich dieses Blatt besaß. Auch hatte ich ihr ein wehmütiges Fahrewohl gesagt, als ich mich davon trennte.
    Aber von dem Bilde weg blickte ich in das Gesicht hinauf, welches darüber lächelte, und auch dieses erschien mir in dieser Nähe und der glänzenden Beleuchtung des Feuers plötzlich als altvertraut; und doch wußte ich nicht, wo ich es schon gesehen. Ich sann und sann, denn die Erscheinung reichte über diesen Tag, dessen Erlebnisse mir übrigens auch nicht gleich gegenwärtig waren, in das Vergangene zurück. Unversehens erkannte ich an einem grüßenden Winken der Augen und der geöffneten Lippen das schöne Frauenzimmer, welches einst bei dem alten Trödler ins Fenster geschaut und nach chinesischen Tassen gefragt hatte; und nun zweifelte ich nicht länger, daß ich noch in einem jener Träume von der mißlungenen Heimkehr begriffen sei, und hielt demnach die ganze Erscheinung für ein neckendes Traumbild und meine Gedanken hierüber für das scheinbare Bewußtwerden des Träumenden, der zu erwachen und sich im alten Elende zu finden fürchtet. Da ich aber in der Tat erwacht war und mit lebendigem Verstande arbeitete, so empfand ich alles um, so deutlicher und stärker, und als ich den Blick wieder auf die unschuldige Landschaft wandte, in welcher ich jeden bunten Stein und jedes Gras wiederzuerkennen mir bewußt war, wurden mir die Augen naß, und ich drehte den Kopf zur Seite, um das Traumbild verschwinden zu lassen.
    Nach Jahren noch entnehme ich dieser kleinen Begebenheit, daß das Erlebte zuweilen doch so schön ist wie das Geträumte, und dabei vernünftiger; und auf die Dauer kommt es ja nicht an.
    Dorothea war verstummt und sah mit Rührung und Teilnahme meinem Verhalten zu; sie vermochte sich nicht zu bewegen und verharrte daher eine Minute in ihrer anmutvollen Stellung.
    Endlich rief sie wiederholt meinen Namen und sagte: »So sprechen Sie doch! Sind Sie es, der dies gemacht hat?«
    Von dem vollen Ton ihrer Stimme ermuntert, stand ich auf, ergriff den Bogen und nahm denselben prüfend in beide Hände. »Gewiß hab ich das gemacht«, sagte ich; »wie kommen Sie dazu?« Zugleich wurde ich nachträglich auch der übrigen Sachen vollständig gewahr, mit denen ich die Frauenzimmer im Halbwachen hatte hantieren sehen; ich ging zum Tische hin, nahm einige Blätter in die Hand, störte auch mit ein paar Griffen in der Mappe herum, alle waren es meine Zeichnungen und Studien; nichts schien zu fehlen, sie lagen beieinander, wie sie einst in meinem Besitze getan.
    »Welch ein Abenteuer!« rief ich nun selbst voll Verwunderung; »wer würde glauben, dergleichen zu erfahren!«
    Dann blickte ich wieder auf das Fräulein, das meinen Bewegungen mit ebenso gespannter als erfreuter Neugierde und offenen Auges folgte; und ich sagte: »Aber auch Sie hab ich schon gesehen, und ich weiß jetzt, wo Sie die Sachen geholt haben! Haben Sie nicht eines Tages dem alten Joseph Schmalhöfer ins Fenster gesehen und nach alten Tassen gefragt, als einer dort auf der Flöte blies?«
    »Freilich, freilich!« rief sie; »aber lassen Sie mal sehen!«
    Ohne sich zu scheuen, schaute sie mich genau an, indem sie die Hände auf meine Schultern legte.
    »Wo hab ich heute nur meine Gedanken?« sagte sie mit neuem Erstaunen; »es ist so! Ich habe dies Gesicht gesehen in der Höhle des Hexentrödlers, wie ihn der Vater nennt. ›Und ob die Wolke sie verhülle‹, haben Sie geflötet, nicht wahr, Herr Heinrich – Herr Heinrich Lee? Wie heißt es nur

Weitere Kostenlose Bücher