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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Wege rascher die Schweizergrenze erreichen, wenn auch nicht in grader Richtung. An dieser Veränderung mochte ich die Länge meiner Abwesenheit bemessen.
    Als ich den Rhein überschritt und das Land betrat, war dieses gerade mit dem Getöse jener politischen Aktionen erfüllt, welche mit dem Umwandlungsprozesse eines fünfhundertjährigen Staatenbundes in einen Bundesstaat abschlossen, ein organischer Prozeß, der über seiner Energie und Mannigfaltigkeit die äußere Kleinheit des Landes vergessen ließ, da an sich nichts klein und nichts groß ist und ein zellenreicher, summender und wohlbewaffneter Bienenkorb bedeutsamer ist als ein mächtiger Sandhaufen.
    Beim schönsten Frühlingswetter sah ich Straßen und Wirtshäuser angefüllt und hörte das zornige Geschrei über gelungene oder mißlungene Gewalttat. Man lebte mitten in der Reihe von blutigen oder trockenen Umwälzungen, Wahlbewegungen und Verfassungsänderungen, die man Putsche nannte, und Schachzüge waren auf dem wunderlichen Schachbrette der Schweiz, wo jedes Feld eine kleinere oder größere Volkssouveränetät war, die eine mit Vertretung, die andere demokratisch, diese mit, jene ohne Veto, diese von städtischem Wesen, jene von ländlichem, und wieder eine andere mit theokratischem Öle versalbt, daß sie nicht aus den Augen sehen konnte.
    Sogleich übergab ich mein Gepäck der Postanstalt und beschloß, den Rest der Reise zu Fuß zurückzulegen, um unverweilt eine vorläufige Kenntnis der Zustände aus eigener Anschauung zu erwerben; denn gerade auf meinem Wege rauchte und schwelte es an mehreren Orten.
    Und doch lag überall das Land im himmelblauen Duft, aus welchem der Silberschein der Gebirgszüge und der Seen und Ströme funkelte, und die Sonne spielte auf dem jungen betauten Grün. Ich sah die reichen Formen der Heimat, in Ebenen und Gewässern ruhig und waagrecht, im Gebirge steil und kühn gezackt, zu Füßen blühende Erde und in der Nähe des Himmels eine fabelhafte Wüste, alles unaufhörlich wechselnd und überall die zahlreich bewohnten Tal-und Wahlschaften bergend. Mit der Gedankenlosigkeit der Jugend und des kindischen Alters hielt ich die Schönheit des Landes für ein historisch politisches Verdienst, gewissermaßen für eine patriotische Tat des Volkes und gleichbedeutend mit der Freiheit selbst, und rüstig schritt ich durch katholische und reformierte Gebietsteile, durch aufgeweckte und eigensinnig verdunkelte, und wie ich mir so das ganze große Sieb voll Verfassungen, Konfessionen, Parteien, Souveränetäten und Bürgerschaften dachte, durch welches die endlich sichere und klare Rechtsmehrheit gesiebt werden mußte, die zugleich die Mehrheit der Kraft, des Gemütes und des Geistes war, der fortzuleben fähig ist, da wandelte mich die begeisterte Lust an, mich als einzelner Mann und widerspiegelnder Teil des Ganzen zum Kampfe zu gesellen und mitten in demselben mich mit regen Kräften fertigzuschmieden zum tüchtigen und lebendigen Einzelmann, der mit ratet und tatet und rüstig drauf aus ist, das edle Wild der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er selbst ein Teil, die ihm aber deswegen nicht teurer ist als die Minderheit, die er besiegt, weil diese hinwieder mit der Mehrheit vom gleichen Fleisch und Blut ist.
    »Aber die Mehrheit«, rief ich vor mir her, »ist die einzige wirkliche und notwendige Macht im Lande, so greifbar und fühlbar wie die körperliche Natur, an die wir gefesselt sind. Sie ist der einzig untrügliche Halt, immer jung und immer gleich mächtig; daher gilt es, sie unvermerkt vernünftig und klar zu machen, wo sie es nicht ist. Dies ist das höchste und schönste Ziel. Weil sie notwendig und unausweichlich ist, so kehren sich die verkehrten Köpfe aller Extreme gegen sie, indessen sie stets abschließt und selbst den Unterliegenden beruhigt, während ihr ewig jugendlicher Reiz ihn zu neuem Ringen mit ihr lockt und so sein eigenes geistiges Leben erhält und nährt. Sie ist immer liebenswürdig und wünschbar, und selbst wenn sie irrt, hilft die gemeine Verantwortlichkeit den Schaden ertragen. Wenn sie den Irrtum erkennt, so ist das Erwachen aus demselben ein frischer Maimorgen und gleicht dem Anmutigsten, was es gibt. Sie läßt es sich nicht einfallen, sich stark zu schämen, ja die allgemein verbreitete Heiterkeit läßt den begangenen Fehltritt kaum ungeschehen wünschen, da er ihre Erfahrung bereichert, die Lust der Besserung hervorgerufen hat und auf das schwindende Dunkel das Licht erst recht hell

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