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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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schwer, daß es vielleicht nicht ratsam ist, wenn Sie unangekündigt und plötzlich bei ihr erscheinen. Seit heute früh haben wir nichts gehört; nun aber ist's am besten, meine Frau geht schnell hinüber und sieht nach, wie es steht. Sie warten indessen hier!«
    Ohne an eine so traurige Wendung glauben zu wollen, und doch bekümmert, ließ ich mich wortlos auf einen Stuhl sinken, die Schachtel auf den Knien. Die Frau lief über die Gasse und verschwand in der Türe, die mir wie einem Fremden noch verschlossen sein sollte. Die Augen voll Tränen, kehrte die Nachbarin zurück und sagte mit verschleierter Stimme: »Kommen Sie schnell, ich fürchte, sie macht es nicht mehr lang, ein Geistlicher ist dort! Die arme Frau scheint nicht mehr bei Bewußtsein!«
    Sie eilte wieder vor mir her, um hilfreich bei der Hand zu sein, wenn es not tat, und ich folgte mit zitternden Knien. Die Nachbarin erklomm rasch und leicht die Treppen; auf den verschiedenen Stockwerken standen feierlich Leute unter ihren Türen, leise sprechend, wie in einem Sterbehause. Auch vor unserer Wohnung standen solche, die ich nicht kannte; meine Führerin im alten Vaterhause eilte auch an diesen vorüber, und ich folgte ihr bis auf den Dachboden, wo ich unsern Hausrat dicht aufeinanderstehen sah und die Mutter in einem Kämmerchen wohnte. Leise öffnete die Nachbarin dessen Türe; da lag die Arme auf dem Sterbebett, die Arme über die Decke hingestreckt, das todesbleiche Gesicht weder rechts noch links wendend und langsam atmend. In den ausgeprägten Zügen schien ein tiefer Kummer auszuleben und der Ruhe der Ergebung oder der Ohnmacht Platz zu machen. Vor dem Bette saß der Diakon der Kirchgemeinde und las ein Sterbegebet. Ich war geräuschlos eingetreten und hielt mich still, bis er geendet. Die Nachbarin trat, als er das Buch sachte zuschlug, zu ihm und flüsterte ihm zu, der Sohn sei angekommen.
    »In diesem Fall kann ich mich zurückziehen«, sagte er, sah mich einen Augenblick aufmerksam an, grüßte und begab sich hinweg.
    Die Nachbarin trat jetzt an das Bett, nahm ein Tüchlein und trocknete sanft die feuchte Stirne und die Lippen der Kranken; dann, während ich immer noch wie ein vor ein Gericht Gerufener dastand, den Hut in der Hand, die Schachtel zu Füßen, neigte sie sich nieder und sagte ihr mit zarter Stimme, welche die Leidende unmöglich erschrecken konnte: »Frau Lee! der Heinrich ist da!«
    Obgleich diese Worte bei aller Weichheit so vernehmlich gesprochen waren, daß auch die vor der offenen Türe versammelten Weiber sie hörten, gab sie doch kein anderes Zeichen, als daß sie die Augen leise nach der Sprechenden hinwendete. Indessen benahm mir außer der Trauer auch die dumpfe dämmerige Luft des Kämmerchens den Atem; denn der Unverstand der Wärterin, die in einem Winkel hockte, hielt nicht nur das kleine Fenster verschlossen, sondern auch die grüne Gardine davor, und ich mußte daran erkennen, daß heute noch kein Arzt dagewesen sei.
    Unwillkürlich schlug ich die Gardine zurück und öffnete das Fenster. Die reine Frühlingsluft und das mit ihr einströmende Licht bewegten das erstarrende ernste Gesicht mit einem Schimmer von Leben; auf der Höhe der hageren Wangen zitterte leicht die Haut; sie regte energisch die Augen und richtete einen langen fragenden Blick auf mich, als ich mich, ihre Hände ergreifend, zu ihr niederbeugte; das Wort aber, das ihre ebenfalls zitternden Lippen bewegte, brachte sie nicht mehr hervor.
    Die Nachbarin nahm die Wärterin mit sich hinaus, drückte leise die Türe zu! und ich fiel an dem Bett nieder mit dem Rufe »Mutter! Mutter!« und legte den Kopf weinend auf die Decke. Ein röchelndes stärkeres Atmen hieß mich wieder emporschnellen, und ich sah die treuen Augen gebrochen. Ich nahm den leblosen Kopf in die Hände und hielt dies Haupt vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben so in der Hand, wenigstens so weit ich mich entsinnen konnte. Allein es war für immer vorbei. Es fiel mir ein, daß ich ihr wohl die Augen zudrücken sollte, daß ich ja dafür da sei und sie es vielleicht noch fahlen würde, wenn ich es unterließe; und da ich neu und ungeübt in diesem bittern Geschäfte war, tat ich es mit zager, scheuer Hand.
    Die Frauen traten nach einer Weile herein, und als sie sahen, daß die Mutter verschieden war, erboten sie sich, das Nötige zu tun und die Leiche für den Sarg einzukleiden. Da ich einmal da war, verlangten sie von mir die Anweisung eines Totengewandes. Ich öffnete einen der

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