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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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verräterische Schwingungen zu versetzen.
    Mißlang dieser Befreiungsversuch, so waren wir dem Verhängnis hilflos ausgeliefert. Denn ich hatte meinen Degen verloren und würde mit bloßen Händen kämpfen müssen.
    Während ich verzweifelt mit den klebrigen Kabeln rang wie weiland Laokoon mit den Schlangen, erwachte Niamh aus ihrer Ohnmacht.
    Nach einem ersten entsetzten Blick faßte das tapfere Mädchen Mut und verhielt sich still. Wie alle Bewohner dieser Welt kannte sie die gefürchteten Spinnen und den langsamen und grauenhaften Tod, den sie ihren Opfern bringen. Niemand brauchte ihr zu sagen, in welcher Gefahr wir schwebten, und als sie mich mit meinen Fesseln ringen sah, wußte sie nur zu gut, daß ich dem Monster, das irgendwo im Halbdunkel lauerte, unsere Position signalisierte.
    Aber ich arbeitete weiter. Es gab nichts anderes zu tun. Wenn das Schicksal es so wollte, dann würde ich kämpfend sterben, um das Mädchen vor dem lähmenden Biß dieses Ungeheuers zu bewahren. Es war möglich, daß mein Kampf sich als nutzlos erwies und ich Niamh nicht retten konnte, aber ich würde mein Bestes versuchen.
    Endlich gelang es mir, mich aus dem Geschlinge der Kabel zu befreien, und ich kletterte vorsichtig über das Netz zu der Stelle, wo Niamh hoffnungslos verstrickt lag.
    »Keine Angst«, sagte ich. »Noch sind wir nicht tot.«
    Ihr blasses Gesicht blickte zu mir auf. Ich merkte, daß sie sich fürchtete, aber sie beherrschte sich. Ihre bernsteinfarbenen Augen blickten mich flehentlich an.
    »Ich habe keine Angst«, antwortete sie, »denn du bist bei mir.«
    Ihr Vertrauen schmeichelte mir zwar, aber es weckte auch ein unbehagliches Gefühl in mir. Wahrscheinlich waren ihre Erwartungen an den legendären Heldentaten des gewaltigen Chong orientiert. Doch was hätte er in meiner Lage tun können? Mit bloßen Händen eine Riesenspinne in ihrem Netz überwinden?
    Als ich Niamh zu befreien versuchte, sah ich, daß die Kabel, in die sie verstrickt war, mehr an ihren Kleidern als an ihrer Haut hafteten. So war es relativ einfach; ich brauchte nur die fest zusammengezogenen Schlingen zu lösen und dann den Stoff abzureißen. Was ihr danach an Kleidung blieb, wurde der Tradition und den Sittlichkeitsnormen des Hofs von Phaolon sicherlich nicht gerecht, aber wenigstens war sie frei.
    »Was tun wir jetzt?« fragte sie.
    »Wir müssen sehen, daß wir über das Netz zum nächsten Baum klettern können«, sagte ich. »Vielleicht schaffen wir es, bevor die Spinne uns findet.«
    Die Wanderung über das Netz war viel weniger schwierig, als ich mir vorgestellt hatte. Die Klebrigkeit der Kabel hatte den Vorteil, daß man nicht abrutschen konnte, und sie waren dichtmaschig genug, um Händen und Füßen Halt zu geben. So kamen wir ziemlich schnell voran, und die Stabilität des Netzes tat ein übriges, ein Gefühl von relativer Sicherheit aufkommen zu lassen.
    Als wir uns der unteren Ecke des Netzes näherten, wo die Fäden zusammenliefen und sich zu einem dicken Spannkabel vereinigten, mit dem das Netz an einem Ast verankert war, wurde das Vorankommen schwieriger, denn obgleich dieses Kabel dick wie ein Schenkel war, fehlten dort die Parallelstränge, die den Händen zusätzlichen Halt boten.
    Ich kam nicht mehr dazu, Überlegungen anzustellen, wie wir dieses wohl achtzig Meter lange Endstück so sicher und schnell wie möglich hinter uns bringen könnten. Denn ein seltsames Zirpen in unserer Nähe und ein trockenes, hohles Geräusch, unterbrach alle Gedanken. Als wir uns umdrehten, blickten wir in ein Gesicht, dessen Anblick uns das Blut in unseren Adern gerinnen ließ.
    Die kolossale Spinne hatte sich unbemerkt genähert, während ich Niamh befreit hatte, und nun kam sie über das Netz gerannt und war im Nu über uns, die glühenden kleinen Augen starrten uns gierig an, die widerwärtigen hornigen Mundwerkzeuge arbeiteten im Vorgeschmack der zu erwartenden Mahlzeit …

10. In den Klauen der Spinne
    Noch jetzt jagt die Erinnerung an jenen Moment mir jämmerliche Angst und nacktes Entsetzens über den Rücken, und alles spricht dafür, daß ich den Alptraum dieses Kampfes auf dem schwankenden Netz, einen halben Kilometer über dem Boden, bis an mein Lebensende wieder und wieder werde durchstehen müssen. Wir befanden uns nicht weit vom unteren Rand des in leichter Schräglage gespannten Spinnennetzes entfernt. Bei jedem Schritt, bei jeder Verlagerung des Körpergewichts gaben die elastischen Kabel unter unseren Füßen nach und

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