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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lin Carter
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Behelfsklinge mit einiger Mühe zu einer scharfen Schneide schärfen können.
    Dennoch konnte ich dieses Problem nicht ignorieren, denn die Nützlichkeit eines kleinen Messers als Schneidwerkzeug und Waffe stand außer Zweifel. Daß es mir gelungen war, mich aus dem Griff der Spinne freizukämpfen, war pures Glück gewesen. Ich durfte mich aber nicht allein auf mein Glück oder die Vorsehung verlassen, wenn ich eine zweite Begegnung dieser Art überleben wollte.
    Während Niamh ruhte, stand ich auf und begann auf dem Ast herumzuwandern, ohne recht zu wissen, was ich suchte, aber unfähig, zur Ruhe zu kommen, bevor ich nicht unsere Nachbarschaft erforscht und dabei vielleicht etwas entdeckt hatte, das geeignet sein könnte, unsere Situation zu verbessern. Essen und Trinken war das Hauptproblem, aber die Notwendigkeit, irgendeine Art Waffe zu finden oder herzustellen, beherrschte meine Gedanken noch mehr. Ohne ein Mittel zu unserer Verteidigung würden wir jeden Moment in Gefahr sein, bis aus Phaolon eventuell Hilfe in Gestalt fliegender Suchmannschaften kam.
    Zuerst erforschte ich die Astgabel. Der Ast entwuchs dem Stamm in einem leicht aufwärts gerichteten Winkel, und der untere Teil der Astgabel bildete nahe am Stamm eine flache Mulde. Diese Einsenkung enthielt eine Menge trockener Blätter – jedes so groß wie ein ausgebreitetes Bettlaken. Hier und da entdeckte ich Pfützen und kleine Tümpel von Regenwasser in Rinnen und Vertiefungen der Borke; Durst würde also nicht zum Problem werden.
    Nachdem ich die Astgabel erkundet hatte, drang ich weiter hinaus auf den Ast vor. Er war mehrere hundert Meter lang, und obwohl sein Umfang allmählich abnahm und er einige steile Krümmungen hatte, war es nicht schwierig, auf ihm zu gehen. Die rauhe, von Rinnen durchzogene Rinde hatte etwa die Beschaffenheit eines gefrorenen Sturzackers.
    Plötzlich blieb ich stehen. Ich hatte entdeckt, daß wir auf unserem luftigen Ast nicht allein waren. Die massig wirkende Gestalt vor mir war im Zwielicht nur undeutlich zu erkennen. Ich konnte nur eine langsam kriechende Bewegung und die Rundung eines Buckels oder Rückens ausmachen. Schließlich entdeckte ich zu meiner großen Erleichterung, daß das Ungeheuer eine Schnecke war und wahrscheinlich harmlos. Sie hatte jedoch die Größe eines Bernhardiners, und ihr Haus, gelb und perlmuttfarben schimmernd, war halb so groß wie eine Badewanne.
    Ich wunderte mich ein wenig, daß die harmlose Kreatur so klein war. Wenn die Schmetterlinge und Libellen dieser Welt zur Größe von Pferden heranwuchsen und einen Menschen durch die Luft tragen konnten, und wenn Spinnen elefantenhafte Dimensionen aufwiesen, sollte man meinen, daß auch Schnecken in einem vergleichbaren Maßstab auftraten. Aber dieses Exemplar mochte jung sein; oder es gehörte einer zwergwüchsigen Gattung an.
    Bei diesem Gedanken stutzte ich. Wie, wenn diese Bäume und alle die Tiere dieser Welt keineswegs so gigantisch groß waren, wie ich mir einbildete? Wie, wenn es tatsächlich Bäume und Tiere ganz gewöhnlicher Größe waren – und die Laonesen ein Volk von baumbewohnenden Däumlingen? Ich ein Winzling, der mit einer Stecknadel gegen eine Eidechse gekämpft hatte und dann mit einer Kreuzspinne aneinandergeraten war? Warum nicht? Es mochte lächerlich anmuten, daß Chong der Mächtige in Wirklichkeit -oder besser, in den Augen eines Menschen – ein Zwerglein von der Größe eines abgebrochenen Streichholzes war, und daß seine legendären Taten Kämpfe gegen Eidechsen, Hummeln und räuberische Käfer gewesen waren; aber im Grunde minderte es seine Qualitäten nicht. Es war bloß eine Frage der Perspektive. Kein Wunder, dachte ich, daß die Laonesen den Waldboden mieden. Schließlich wimmelte es dort von großen Waldameisen, gefährlichen Laufkäfern und schreckenerregenden Mäusen, gar nicht zu reden von Jagdspinnen und Tausendfüßlern.
    So faszinierend – und auch ernüchternd – es war, die gewohnte Perspektive aufzugeben und die Dinge andersherum zu sehen, es schien unmöglich, festzustellen, wie dies alles sich tatsächlich verhielt. Ob ich nun im Körper eines athletischen Kriegers steckte, der in einer Umwelt von gigantischen Dimensionen lebte, oder ob ich in einen winzigen Zwerg geschlüpft war, für den jede Spitzmaus ein schreckliches Ungestüm darstellte – letzten Endes lief es auf das gleiche hinaus.
    Meine Spekulationen wurden von Niamh unterbrochen, die entweder abenteuerlustig geworden war oder sich allein

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