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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Schwamm, ich weiß eben nicht welchen
    Malers des Altertums, den dieser auf seine Gemälde schleu-
    derte, gerade die Wirkung hervorgebracht hat, die ich mit
    dem Pinsel vergeblich zu erzielen suchte.«
    Das wurde in so liebenswürdigem Ton gesprochen, daß
    Miss Campbell und die Brüder Melvill ein Lächeln nicht
    unterdrücken konnten.
    Hierbei wollen wir zu erwähnen nicht unterlassen, daß
    Aristobulos Ursiclos nicht mitgekommen war, um diesen
    Austausch von Entschuldigungen und Höflichkeiten mit
    anzuhören.
    Olivier Sinclair war übrigens bestimmt geschaffen, ir-
    gendeiner jungen blonden Tochter Schottlands mehr als
    bloße Sympathie einzuflößen. Sein eleganter Wuchs, sein
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    offenes Gesicht mit dem männlichen Ausdruck, der ebenso
    energisch durch seine Züge, wie andererseits sanft durch
    seine Augen erschien, die natürliche Grazie seiner Bewe-
    gungen, das Vornehme seines Wesens, seine geläufige und
    geistvolle Redeweise, sein leichter Gang, das Lächeln seines
    Blicks – alles vereinte sich, ihm eine gewisse Anziehungs-
    kraft zu verleihen. Er war freilich viel zu wenig Geck, um
    selbst darauf zu achten, oder er achtete absichtlich nicht
    darauf, da er keine Lust verspürte, sich zu binden.
    Wenn ihm der weibliche Clan von Auld Reeky [»Die alte
    Rauchige«, ein Spitzname Edinburghs] nur Schmeichelhaf-
    tes nachrühmte, so gefiel er nicht minder seinen jugend-
    lichen Gefährten und Universitätsfreunden; nach einem
    hübschen gälischen Sprichwort gehörte er zu denen, »die
    nie einem Freund und nie einem Feind den Rücken zukeh-
    ren«.
    Heute, im Augenblick jenes Angriffs, wendete er freilich
    Miss Campbell den Rücken zu. Miss Campbell dagegen war
    auch weder seine Feindin noch seine Freundin. In seiner
    Stellung, oder vielmehr, so wie er saß, hatte er die von dem
    Schlägel des jungen Mädchens so unbedacht fortgetriebene
    Kugel natürlich nicht bemerken können. So kam es, daß das
    Geschoß mitten auf seine Bildfläche platzte und seine ge-
    samten Malergerätschaften über den Haufen warf.
    Miss Campbell hatte auf den ersten Blick den Helden von
    Corryvrekan wiedererkannt; der Held dagegen nicht die
    junge Reisende der ›Glengarry‹. Während der Weiterfahrt
    von der Insel Scarba bis Oban mochte er Miss Campbell
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    wohl kaum an Bord bemerkt haben. Hätte er geahnt, welch
    großen persönlichen Anteil gerade sie an seiner glücklichen
    Rettung gehabt hatte, würde er, wenn auch nur aus reiner
    Höflichkeit, unzweifelhaft seinen besonderen Dank abge-
    stattet haben; das wußte er aber noch nicht, und sollte es
    wahrscheinlich auch niemals erfahren.
    Noch an jenem Tag verbot – ja, das ist das richtige Wort –
    verbot Miss Campbell ebenso ihren Oheimen, wie Mrs. Bess
    und Patridge, jenem jungen Mann gegenüber jegliche An-
    spielung auf die Vorgänge, die sich auf der ›Glengarry‹ vor
    seiner Rettung abspielten.
    Nach dem Vorfall mit der Kugel waren die Brüder Mel-
    vill, womöglich noch mehr erschrocken als ihre Nichte, die-
    ser nachgeeilt, und brachten eben ihre persönlichen Ent-
    schuldigungen bei dem jungen Künstler an, als der sie mit
    den Worten unterbrach:
    »Miss . . . meine Herren . . . Ich bitte Sie, glauben Sie, daß
    die ganze Sache der Mühe gar nicht wert ist.«
    »Sir«, erwiderte Bruder Sib, »nein, wir sind wirklich un-
    tröstlich . . .«
    »Und wenn das Unglück unverbesserlich wäre, wie lei-
    der zu fürchten ist . . .«, fügte Bruder Sam hinzu.
    Nach Beendigung der Partie hatte der junge Gelehrte,
    gereizt, seine theoretischen Kenntnisse mit der praktischen
    Fertigkeit nicht in Einklang gebracht haben zu können, sich
    ins Hotel zurückgezogen. Vor 3 bis 4 Tagen war kaum mit
    seinem Wiedererscheinen zu rechnen, denn er beabsich-
    tigte eben nach der Insel Luing, einer der kleinen Hebri-
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    den, abzureisen, die im Süden der Insel Seil liegt, um dort
    von geologischem Standpunkt aus die reichen Schieferbrü-
    che zu untersuchen.
    Dem Gespräch drohten also keine lehrreichen Unterbre-
    chungen, die er doch aufgetischt hätte, über die Flugkraft
    geschleuderter Körper, wie über andere mit dem Unfall zu-
    sammenhängende Fragen.
    Olivier Sinclair hörte dabei auch, daß er den Gästen des
    Caledonian-Hotels nicht völlig unbekannt war, und erfuhr
    von einigen Vorkommnissen während der Überfahrt.
    »Wie, Miss Campbell, und Sie, meine Herren«, rief er,
    »Sie befanden sich an Bord der ›Glengarry‹, die mich ge-
    rade noch

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