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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Schlägel, den er langsam
    einen Halbkreis beschreiben ließ, führte damit einen siche-
    ren Schlag gegen die 18 Zoll vom ›Fock‹ oder Ausgangs-
    pfahl entfernt liegende Kugel, und hatte nicht nötig, von der
    ihm zustehenden Vergünstigung einer noch zweimaligen
    Wiederholung des ersten Schlags Gebrauch zu machen.
    Die geschickt fortgetriebene Kugel rollte durch den ers-
    ten Bogen und sofort durch den zweiten; ein zweiter Schlag
    trieb sie durch den dritten, und erst beim vierten Bogen
    nahm sie ›etwas zu viel Eisen‹ und blieb stehen.
    Für die Spieleröffnung war das gewiß eine anerkennens-

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    werte Leistung. Ein schmeichelhaftes Gemurmel lief auch
    durch die Zuschauer, die sich außerhalb des kleinen Gra-
    bens um den Rasenplatz hielten.
    Jetzt kam Aristobulos Ursiclos an die Reihe. Er war we-
    niger glücklich. Ob aus Ungeschicklichkeit oder unglück-
    lichem Zufall, jedenfalls mußte er dreimal von neuem be-
    ginnen, um die Kugel durch den ersten Bogen zu treiben,
    und den zweiten verfehlte er dann wieder.
    »Höchstwahrscheinlich«, bemerkte er zu Miss Campbell,
    »ist diese Kugel nicht richtig kalibriert. In diesem Fall ver-
    anlaßt der exzentrisch gelegene Schwerpunkt eine Abwei-
    chung in ihrem Lauf . . .«
    »Du bist dran, Onkel Sib«, sagte Miss Campbell, ohne
    auf diese gelehrte Auseinandersetzung zu hören.
    Der Bruder Sib war des Bruders Sam würdig. Seine Ku-
    gel lief durch zwei Bögen und blieb nah bei der von Aristo-
    bulos Ursiclos liegen, die ihm dazu diente, den dritten Bo-
    gen zu passieren, nachdem er sie rockiert, das heißt durch
    Anprallenlassen der Seinigen berührt hatte, dann rockierte
    er noch einmal den jungen Gelehrten, dessen ganze Phy-
    siognomie zu verkünden schien: »Warte nur, wir werden
    es noch besser machen!« Endlich, nachdem beide Kugeln
    in Berührung miteinander gebracht waren, setzte er den
    Fuß fest auf seine eigene, führte gegen sie einen herzhaf-
    ten Schlag und krockierte damit die Kugel des Gegners, das
    heißt, er trieb sie durch eine Wirkung des Gegenschlags, re-
    spektive der Elastizität des Holzes, 60 Schritte weit über die
    Grenze des Spielterrains hinaus.
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    Aristobulos Ursiclos mußte seiner Kugel nachlaufen; er
    tat das mit der ganzen Würde eines gesetzten Mannes und
    wartete dann in der Haltung eines Generals, der über einen
    großen Coup nachdenkt.
    Miss Campbell nahm nun ihre grüne Kugel und schlug
    sie geschickt durch die beiden ersten Bögen.
    Das Spiel nahm einen für die Brüder Melvill sehr vor-
    teilhaften Fortgang, und diese ließen keine Gelegenheit aus,
    die feindlichen Kugeln zu rockieren und zu krockieren. Das
    war ein Massaker! Sie machten sich kaum bemerkbare Zei-
    chen, verstanden sich schon durch Augenzwinkern, so daß
    sie der Worte entbehren konnten, und schließlich gewan-
    nen sie einen gewaltigen Vorsprung zur großen Genugtu-
    ung ihrer Nichte, aber zum geheimen Ärger Aristobulos Ur-
    siclos’.
    Als Miss Campbell, 5 Minuten nach Beginn der Par-
    tie, sich hinlänglich überholt sah, fing sie an, aufmerksa-
    mer zu spielen und zeigte dabei weit mehr Gewandtheit, als
    ihr Partner, der ihr nichtsdestoweniger seine wissenschaft-
    lichen Ratschläge nicht ersparte.
    »Der Ausfallswinkel«, belehrte er sie, »entspricht immer
    dem Einfallswinkel, und daraus können Sie die Richtung
    ableiten, welche die Kugeln infolge des Anschlags nehmen
    müssen. Man muß daraus den Vorteil ziehen . . .«
    »Ziehen Sie nur selbst den möglichsten Vorteil daraus«,
    antwortete ihm Miss Campbell. »Sie sehen, Sir, daß ich Ih-
    nen um drei Bögen voraus bin.«
    In der Tat blieb Aristobulos Ursiclos jämmerlich zurück.
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    Zehnmal schon hatte er versucht, den doppelten Mittelbo-
    gen zu nehmen, ohne dazu zu gelangen. Er suchte die Ur-
    sache nun in dem Drahtbogen selbst, ließ ihn anders rich-
    ten, die Entfernung prüfen, und versuchte sein Glück von
    neuem.
    Das Glück wollte ihm nun einmal nicht günstig sein.
    Seine Kugel traf jedesmal das Eisen, wollte aber nie darun-
    ter hindurch.
    Miss Campbell wäre wirklich voll berechtigt gewesen,
    sich über ihren Partner zu beklagen. Sie selbst spielte sehr
    gut und verdiente die Lobeserhebungen, mit denen ihre
    beiden Onkeln sie freigebig bedachten. Es war aber auch
    reizend anzusehen, wenn sie sich so voll und ganz diesem
    Spiel hingab, das für die Entwicklung körperlicher Grazie
    so geeignet ist. Ihren rechten Fuß halb erhoben, um die

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