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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Ku-
    gel des Gegners zu fesseln, wenn sie sie krockierte, die bei-
    den gefällig gerundeten Arme, wenn sie ihren Schlägel ei-
    nen halben Kreis beschreiben ließ, die Lebhaftigkeit des
    mehr als hübschen Gesichts, die ungezwungene Neigung
    des Körpers, ihr reizvoll schwankender Oberkörper – alles
    zusammen bot einen fesselnden Anblick. Nur Aristobulos
    Ursiclos sah davon natürlich nichts!
    Man darf ihm wohl nachsehen, wenn er innerlich wü-
    tete. Die Brüder Melvill hatten jetzt einen so großen Vor-
    sprung, daß an ihr Einholen kaum zu denken war. Immer-
    hin bringt das Krocketspiel oft so unerwartete Wendungen
    mit sich, daß man niemals an dem möglichen Sieg zu ver-
    zweifeln braucht.

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    — 128 —
    Die Partie verlief unter so ungleichen Verhältnissen wei-
    ter, bis ein Zwischenfall sie unterbrach.
    Aristobulos Ursiclos fand endlich Gelegenheit, die Ku-
    gel des Bruders Sam zu rockieren, die den Mittelbogen, vor
    dem er so unbarmherzig zurückgehalten blieb, schon auf
    dem Rückweg passiert hatte. Voller Verzweiflung und doch
    mit dem Bemühen, vor den Augen der Zuschauer mög-
    lichst ruhig zu erscheinen, gedachte er jetzt einen Meister-
    streich auszuführen, seinem Gegner Gleiches mit Gleichem
    zu vergelten und ihn über die Spielplatzgrenze hinauszuja-
    gen. Er legte also seine Kugel neben die des Bruders Sam, si-
    cherte deren Berührung durch Anhäufung einigen Grases,
    stemmte den linken Fuß darauf, beschrieb beim Ausholen
    einen vollen Bogen, um dem Schlag mehr Kraft zu verlei-
    hen, und schlug dann tüchtig zu.
    Ei, da entfuhr ihm ein Schrei! Es war ein wirkliches
    Schmerzgeheul; der nicht ganz richtig gelenkte Schlägelkopf
    hatte statt der Kugel den Fuß des Krocketstümpers getrof-
    fen, der nun, auf einem Bein umherhinkend, unzweifelhaft
    sehr natürliche, aber doch etwas lächerliche Schmerzensäu-
    ßerungen zum Besten gab.
    Die Brüder Melvill eilten auf ihn zu. Glücklicherweise
    hatte das dicke Leder seines Schnürschuhs die Heftigkeit
    des Schlags gemildert, so daß er ohne ernsthaftere Verlet-
    zung davongekommen war. Aristobulos Ursiclos glaubte
    aber sein Mißgeschick auf folgende Weise erklären zu müs-
    sen:»Der durch seinen Schlägelstiel gebildete Strahl oder Ra-
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    dius«, sagte er dozierend, doch nicht ohne dabei das Ge-
    sicht zu verziehen, »hat einen, zu demjenigen, der als Tan-
    gente den Erdboden streifen sollte, konzentrischen Kreis
    beschrieben, weil ich den Radius etwas zu kurz bemessen
    habe. Deshalb mußte der Schlag . . .«
    »Unter diesen Umständen, Sir, wollen wir die Partie doch
    wohl lieber aufgeben?« fragte Miss Campbell.
    »Die Partie aufgeben!« rief Aristobulos Ursiclos. »Uns
    für besiegt erklären? Nimmermehr! Unter Zuhilfenahme
    der Formeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung läßt sich
    nachweisen . . .«
    »Nun, wie Sie wollen; dann spielen wir weiter«, schnitt
    ihm Miss Campbell den Faden der Gelehrsamkeit ab.
    Alle Formeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung aber
    würden den Gegnern der beiden Onkel auch nur geringe
    Aussichten eröffnet haben.
    Schon war Bruder Sam ›Räuber‹ geworden, das heißt,
    seine Kugel hatte alle Bögen passiert und den ›Besan‹, den
    Ausgangspflock, wieder berührt, so daß es ihm nun frei-
    stand, seinem Partner in jeder Weise zu Hilfe zu kommen,
    indem er alle Kugeln nach Belieben rockierte und kro-
    ckierte.
    In der Tat war die Partie nach wenigen weiteren Schlä-
    gen entschieden, und die Brüder Melvill triumphierten,
    aber nur bescheiden, wie das Meistern zukommt. Aristo-
    bulos Ursiclos dagegen hatte trotz seiner wissenschaftlich
    begründeten Ansprüche nicht dazu gelangen können, den
    Mittelbogen zu passieren.
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    Miss Campbell gab sich nun den Anschein, viel ärger-
    licher zu sein, als sie in Wirklichkeit war, und mit kräftigem
    Schlag, auf dessen Richtung sie gar nicht achtete, trieb sie
    ihre Kugel weit weg.
    Die Kugel rollte in Richtung Meer, über das durch die
    Furchen begrenzte Spielterrain hinaus, prallte an einem
    Stein ab, sprang dadurch in die Höhe und flog, ihr Gewicht
    multipliziert mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, wie
    Aristobulos Ursiclos gesagt hätte, auf den Strand zu.
    Unglücklicher Schlag!
    Dort saß ein junger Künstler vor seiner Staffelei, beschäf-
    tigt, eine Ansicht des Meeres bis zur Südspitze der Reede
    von Oban aufzunehmen. Die Kugel erreichte gerade die
    aufgespannte Malerleinwand, befleckte ihre eigene grüne
    Farbe, indem sie über

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