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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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jene hinstrich, mit allen Farben der
    Palette und warf endlich die ganze Staffelei um.
    Der Maler drehte sich ruhig um und sagte:
    »Gewöhnlich sendet man eine Kriegserklärung, ehe ein
    Bombardement begonnen wird!«
    Im Vorgefühl eines bevorstehenden Unheils war Miss
    Campbell, noch ehe es eintrat, zum Strand gelaufen.
    »Ach, Sir«, sagte sie, sich an den jungen Künstler wen-
    dend, »bitte, verzeihen Sie mir meine Ungeschicklichkeit!«
    Der Angeredete erhob sich, grüßte lächelnd das junge, in
    ihrer Verlegenheit desto schönere Mädchen, die sich eben
    entschuldigt hatte . . .
    Es war der ›Schiffbrüchige‹ aus dem Strudel von Cor-
    ryvrekan!

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    — 132 —
    11. KAPITEL
    Olivier Sinclair
    Olivier Sinclair war ein ›netter Mann‹, um den Ausdruck zu
    gebrauchen, den man früher in Schottland mit Vorliebe für
    wackere, lebhafte und aufgeweckte junge Leute anwandte;
    doch wenn ihm diese Bezeichnung in geistiger Beziehung
    verdientermaßen zukam, so muß man gestehen, daß sie
    auch äußerlich auf ihn paßte.
    Der letzte Sproß aus einer vornehmen Familie Edin-
    burghs, war dieser junge Athener des nordischen Athens
    der Sohn eines bejahrten Rats der Hauptstadt von Midlo-
    thian. Früh vater- und mutterlos, so daß er bei seinem On-
    kel, einem der vier Oberrichter der Munizipalverwaltung,
    erzogen wurde, hatte er auf der Universität seinen Studien
    mit gutem Erfolg obgelegen; im Alter von 20 Jahren sicherte
    ihm der Heimfall eines nicht unbeträchtlichen Vermögens
    mehr Unabhängigkeit, und begierig, die Welt zu sehen, be-
    reiste er die wichtigsten Staaten Europas, ferner Indien und
    Amerika, und die bekannte ›Edinburgh Revue‹ veröffent-
    lichte wiederholt einige Skizzen seiner Reisen. Ein sehr be-
    gabter Maler, der seine Bilder gewiß zu ansehnlichen Prei-
    sen hätte verkaufen können; Dichter, wenn er in poetischer
    Stimmung war – und wem widerführe das nicht, in jenem
    Alter, wo einem das ganze Leben entgegenlacht? –, von war-
    mem Herzen und Künstler von Natur, war er geschaffen, zu
    gefallen, und gefiel ohne Ziererei und Eitelkeit.
    In der Hauptstadt des alten Kaledoniens ist es leicht, sich
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    zu verheiraten. Die Geschlechter sind dort an Zahl sehr un-
    gleich, und das schwache überragt zahlenmäßig das stär-
    kere bei weitem. Einem jungen, gebildeten, liebenswürdi-
    gen, vornehmen und wohlgestalteten jungen Mann kann es
    da gar nicht fehlen, eine vermögende Frau nach seinem Ge-
    schmack zu finden.
    Olivier Sinclair schien freilich auch mit 26 Jahren noch
    nicht das Bedürfnis empfunden zu haben, zu zweien zu le-
    ben. Hielt er den Fußpfad des Lebens für zu schmal, um
    Arm in Arm darauf zu wandeln? Nein, gewiß nicht; doch
    viel wahrscheinlicher ging es ihm besser damit, allein zu ge-
    hen, kreuz und quer, ganz seiner Laune folgend, hier- und
    dorthin zu irren, wie es ihm sein Geschmack als Künstler
    und Reisender eben eingab.
    »Es ist nur ein kleiner Unfall, kein Unglück«, erklärte der
    junge Mann lächelnd. »Eine Sudelei, nichts weiter, an der
    die Kugel die gerechteste Kritik geübt hat!«
    Olivier Sinclair äußerte das so freimütig, daß die Brüder
    Melvill ihm fast ohne alle Umstände die Hände entgegenge-
    streckt hätten. Jedenfalls glaubten sie sich gegenseitig vor-
    stellen zu sollen, wie das unter Gentlemen Sitte ist.
    »Mr. Samuel Melvill«, sagte Bruder Sib.
    »Mr. Sebastian Melvill«, sagte Bruder Sam.
    »Und deren Nichte, Miss Campbell«, fügte Helena hinzu,
    die, um nicht ausgeschlossen zu bleiben, sich lieber gleich
    selbst vorstellte.
    Das war eine an den jungen Mann gerichtete Aufforde-
    rung, auch nun seinerseits Namen und Stand anzugeben.
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    »Miss Campbell, meine Herren«, sagte er sehr ernsthaft,
    »ich könnte Ihnen antworten, daß ich mich ›Fock‹ (Aus-
    gangspunkt beim Krocket) nenne, da ich von jener Kugel
    getroffen worden bin; in der Tat heiße ich ganz einfach Oli-
    vier Sinclair.«
    »Mr. Sinclair«, begann da Miss Campbell, die sich seine
    Antwort nicht so recht zu deuten wußte, noch einmal, »ge-
    statten Sie zum letzten Mal, daß ich höflichst um Verzei-
    hung bitte . . .«
    »Und wir gleichfalls«, fügten die Brüder Melvill hinzu.
    »Miss Campbell«, erwiderte Olivier Sinclair, »ich wie-
    derhole Ihnen, daß die ganze Sache nicht der Mühe wert ist.
    Ich suchte den Effekt der anlaufenden Brandungswellen zu
    erhaschen, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Ihre Ku-
    gel, genau wie der

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