Der Grüne Strahl
des
Schnitts ihrer einfachen, hinter der Mode des Tages stets
etwas zurückbleibenden Kleidung, wie der Wahl der Stoffe
aus vorzüglichem englischen Tuch genau denselben Ge-
schmack verrieten? Nur der eine kleine Unterschied – wer
hätte den Grund dazu erklären können? – bestand zwi-
schen ihnen, daß Sam die dunkelblaue, Sib dagegen die kas-
tanienbraune Farbe zu bevorzugen schien.
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Wer hätte mit diesen ehrenwerten Gentlemen nicht gern
auf vertraulichem Fuß gestanden? Gewohnt, im Leben im-
mer gleichen Schritts zu gehen, machten sie einst gewiß
auch einer unfern dem andern halt, wenn ihnen das Stünd-
lein der ewigen Ruhe schlug. Immerhin konnte man diese
beiden letzten Pfeiler der Familie Melvill noch als recht so-
lide bezeichnen. Sie hielten gewiß noch lange Zeit das alte
Gebäude ihres Geschlechts aufrecht, das dem 14. Jahrhun-
dert entstammte, der epischen Zeit eines Robert Bruce und
eines Wallace, der Heldenepoche, in der Schottland noch
mit England um seine Unabhängigkeit rang.
Wenn Sam und Sib aber auch keine Gelegenheit hatten,
für das Wohl des Vaterlands zu kämpfen, wenn ihr minder
bewegtes Leben unter dem Segen friedlicher Ruhe verlief,
den ein behäbiges Vermögen verleiht, so darf man ihnen
daraus weder einen Vorwurf machen, noch sie für entartet
halten wollen. Sie setzten eben in ihrem Bestreben, Gutes zu
wirken, die edlen Überlieferungen ihrer Vorfahren fort.
Beide kerngesund, ohne daß sie sich den Vorwurf ir-
gendeiner Unregelmäßigkeit der Lebensweise zu machen
hatten, schienen sie bestimmt, hohe Jahre zu erreichen,
ohne jemals, weder an Geist noch an Körper, zu altern.
Vielleicht hatten sie einen Fehler – wer könnte sich rüh-
men, ohne einen zu sein? –, sie verbrämten ihre Unterhal-
tung gern mit zahlreichen, dem berühmten Burgvogt von
Abbotsford entlehnten Bildern und Zitaten, und besonders
auch mit solchen aus den epischen Dichtungen Ossians, in
die sie geradezu vernarrt schienen. Doch wer könnte ihnen
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im Land Fingals und Walter Scotts daraus einen Vorwurf
machen?
Um ihr Porträt mit einem letzten Pinselstrich zu vollen-
den, müssen wir noch hinzufügen, daß sie starke Schnupfer
waren. Jedermann weiß ja wohl auch, daß die Tabakshand-
lungen im Vereinigten Königreich meist einen kräftigen, in
Nationaltracht prangenden Schotten mit der Dose in der
Hand als allgemein verständliches Symbol gebrauchen.
Nun, die beiden Brüder Melvill hätten ganz gut dazu ge-
paßt, als Abzeichen auf den bemalten Zinkschildern zu fi-
gurieren, wie man sie an den Schutzdächern über den be-
treffenden Lokalen sieht. Sie schnupften ebensoviel, wenn
nicht gar noch etwas mehr, als sonst einer diesseits wie jen-
seits des Tweed. Dabei besaßen sie merkwürdigerweise nur
eine einzige Tabaksdose, natürlich ein sehr großes Exem-
plar. Dieses tragbare Stück Möbel wanderte stets abwech-
selnd in die Tasche des einen und des andern und bildete
damit gewissermaßen noch ein weiteres Band zwischen den
Brüdern. Es versteht sich ganz von selbst, daß sie zu genau
der gleichen Zeit, etwa zehnmal in der Stunde, das Bedürf-
nis empfanden, sich an dem vortrefflichen, aus Frankreich
bezogenen Pulver der Herba nicotiana zu erquicken. Wenn
der eine die Tabaksdose aus den Tiefen seines Rocks her-
vorholte, hatten eben beide Appetit auf eine gute Prise, und
beide beglückwünschten sich, wenn sie niesten, mit einem:
»Gott helfe uns!«
Alles in allem waren sie zwei richtige erwachsene Kin-
der, die Brüder Sam und Sib, in bezug auf alle praktischen
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Lebensfragen; von industriellen, finanziellen und kommer-
ziellen Angelegenheiten verstanden sie absolut nichts und
gaben sich auch gar nicht den Anschein, davon etwas zu
verstehen; politisch zählten sie im Grunde vielleicht zu den
Jakobiten, bewahrten ein ererbtes Vorurteil gegen die Dy-
nastie Hannover und gedachten noch immer des letzten
der Stuarts, ungefähr wie in Frankreich jemand dem letzten
der Valois pietätvolles Andenken bewahren könnte; in Her-
zenssachen gar waren sie noch weniger Kenner.
Und doch hatten die Brüder Melvill nur den einen
Wunsch, klar zu sehen im Herzen von Miss Campbell, de-
ren geheimste Gedanken zu erraten, diese, wenn nötig, in
bestimmter Richtung zu leiten, sie zu entwickeln, wenn
das angezeigt erschien, und endlich sie an einen wackeren
Mann ihrer (der Brüder) eigenen Wahl zu verheiraten, der
gar
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