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Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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selbst mit
    den Dunstmassen, die er aussendet, durch die er die Quel-
    len speist, die ihm als Flüsse wieder zuströmen, oder die
    er unmittelbar als aus seinem Busen hervorgegangenen Re-
    gen wieder aufnimmt. Ja, der Ozean, das ist die Unendlich-
    keit, wie der Weltraum, der sich in seinen Wellen widerspie-
    gelt.«
    »Ich liebe es, Sie mit solchem Enthusiasmus reden zu hö-
    ren, Mr. Sinclair«, antwortete Miss Campbell, »und ich teile
    diesen Enthusiasmus. Ja, ich liebe das Meer ebenso, wie Sie
    es nur lieben können!«
    »Und Sie würden auch vor den Gefahren, die es zuweilen
    bietet, nicht zurückschrecken?« fragte Olivier Sinclair.
    »Nein, wirklich, ich hätte keine Furcht! Kann man denn
    fürchten, was man bewundert?«
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    »Sie hätten es auch unternommen, als kühne Reisende in
    die Welt zu ziehen?«
    »Vielleicht, Mr. Sinclair«, erwiderte Miss Campbell. »Je-
    denfalls ziehe ich unter allen Reiseberichten, die ich gele-
    sen habe, die vor, deren Zweck und Ziel Entdeckungen in
    fernen Meeren waren. Wie oft hab’ ich sie mit den großen
    Seefahrern besucht! Wie viele Male bin ich nicht mit vor-
    gedrungen in diese unbekannten Welten, freilich nur in Ge-
    danken; aber ich kenne doch nichts Beneidenswerteres, als
    die Aufgaben jener Helden, die so Großes geleistet haben.«
    »Ja, Miss Campbell, was gibt es in der Geschichte der
    Menschheit Erhebenderes und Schöneres als jene Ent-
    deckungen! Zum ersten Mal den Atlantischen Ozean zu
    durchfurchen mit Kolumbus, das Stille Meer mit Magel-
    lan, die Polarmeere mit Parry, Franklin, d’Urville und an-
    deren – welche Träume! Ich kann kein Schiff auslaufen se-
    hen, weder ein Kriegsschiff, noch ein Handelsfahrzeug, ja
    nicht einmal die kleinste Fischerschaluppe, ohne mein gan-
    zes Sein und Wesen darauf mit einzuschiffen. Ich glaube
    zum Seemann geboren zu sein, und wenn diese Laufbahn
    nicht von Jugend auf die meinige wurde, so bedaure ich es
    jeden Tag!«
    »Aber Sie haben doch wenigstens Seereisen gemacht?«
    fragte Miss Campbell.
    »So viel ich konnte, ja«, antwortete Olivier Sinclair. »Ich
    habe zum Beispiel das Mittelmeer besucht von Gibraltar bis
    zu den Grenzen des Morgenlands, ein wenig den Atlanti-
    schen Ozean bis Nordamerika, dazu die nördlichen Meere
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    Europas, und ich kenne all die Gewässer, mit denen die Na-
    tur England so freigebig ausgestattet hat . . .«
    »Und so prächtig dazu, Mr. Sinclair«
    »Jawohl, Miss Campbell. Ich kenne nichts, was mit der
    Umgebung unserer Hebriden zu vergleichen wäre, zu de-
    nen dieser Dampfer uns hinführt. Das ist ein wirklicher Ar-
    chipel, dessen Himmelsbläue vielleicht matter glänzt, als die
    des Orients, der dafür aber in seinen wilden Felsengebilden
    und dem sozusagen duftigen Horizont mehr Poesie besitzt
    als jener.
    Die Inselwelt Griechenlands hat eine große Gesellschaft
    Götter und Göttinnen geboren, zugegeben! Sie werden da-
    gegen leicht bemerken, daß das sehr bürgerliche Gottheiten
    waren, so greifbare Gestalten mit sehr materiellem Leben,
    die ihre kleinen Geschäfte haben und über ihre Ausgaben
    Buch führen. Meiner Empfindung nach gleicht der Olymp
    einem mehr oder weniger gut ausgestatteten Salon, in dem
    sich die Götter versammelten, die etwas gar zu sehr jenen
    Menschen ähnelten, deren Schwachheiten sie teilten. Nicht
    so ist es mit unseren Hebriden! Sie sind die Wohnung über-
    natürlicher Wesen. Die immateriellen, ätherischen skandi-
    navischen Gottheiten haben keine greifbare Form, keine
    Körper. Odin, ebenso wie Ossian und Fingal und die ganze
    Schar jener poetischen Phantome – alle sind sie aus Über-
    lieferungen der Sagas hervorgegangen. Wie schön sie sind,
    diese Gestalten, deren Erscheinung unsere Phantasie in-
    mitten der Nebel des Nordmeers hervorzurufen, die sie im
    Schnee der hyperboreischen Regionen zu gewahren ver-
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    mag! Das ist ein weit göttlicherer Olymp als der des alten
    Griechenlands. Diesen entstellt nichts Irdisches, und wenn
    man solchen Wesen würdige Wohnstätten suchen wollte,
    könnte es nur das Meer der Hebriden sein. Ja, Miss Camp-
    bell, hierher trieb es mich selbst, unsere Gottheiten zu ver-
    ehren, und als echtes Kind des alten Kaledonien würde ich
    unseren Archipel mit seinen 200 Inseln, seinem bedeck-
    ten Himmel, seinen auf- und abwallenden, vom Golfstrom
    freundlich erwärmten Fluten, niemals gegen alle Archipele
    des Morgenlands vertauschen!«
    »Und der gehört uns, den Schotten der

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