Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Grüne Strahl

Der Grüne Strahl

Titel: Der Grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
weniger lebhaften Wunsch zu er-
    kennen gab, gleichzeitig mit Glasgow dem Geräusch einer
    großen Industriestadt, dem geschäftlichen Treiben, das zu-
    weilen bis in das Viertel des Blythswood Square flutete, zu
    entfliehen, endlich wieder einen weniger verqualmten Him-
    mel zu sehen und eine weniger mit Kohlensäure überladene
    Luft zu atmen, als den Himmel und die Luft dieser alten
    Metropole, deren kommerzielle Bedeutung die Tabaksgra-
    fen, ›Tobacco Lords‹, vor Jahrhunderten begründet haben.
    Das ganze Haus, Herren und Dienerschaft, reiste also
    nach dem höchstens 20 Meilen entfernten Landsitz ab.
    Es ist ein hübscher Ort, das Städtchen Helensburgh. Man
    hat es zu einem Kurort gemacht, der häufig von denen auf-
    gesucht wird, die in der glücklichen Lage sind, ihre gewohn-
    ten Spaziertouren am Clyde mit einem Ausflug an den von
    allen Vergnügungsreisenden hochgeschätzten Katrine-See
    oder an den Lomond-See zu vertauschen.
    Eine Meile vom Städtchen, am Ufer des Loch Gare, hat-
    ten die Brüder Melvill den reizendsten Platz ausgewählt,
    um dort ihr Landhaus zu errichten. Es lag hier versteckt
    in prächtigen Bäumen, mitten in einem Netz klarer Wasser-
    adern, auf wechselndem Terrain, das sich zur Anlegung
    eines Parks ganz besonders eignete. Erquickende schat-
    tige Partien, frisch grünender Rasen, verschiedene Baum-
    gruppen, Blumenbeete, Wiesen, auf denen ausgezeichnetes
    Futter für die zur Belustigung gehaltenen Lämmer wuchs,
    Teiche mit klaren dunklen Wasserflächen, bevölkert von
    — 23 —
    wilden Schwänen, von jenen graziösen Vögeln, über die
    Wordsworth gesagt hat: »Der Schwan schwimmt zweimal –
    der Schwan und sein Schattenbild!«
    Mit einem Wort, was die Natur nur vereint bieten kann,
    um das Auge zu ergötzen, ohne daß des Menschen Hand
    viel daran zu schaffen hat – so war der Sommersitz der
    reichbegüterten Familie.
    Wir dürfen nicht vergessen hinzuzufügen, daß der über
    dem Loch Gare liegende Teil des Parks eine wirklich ent-
    zückende Aussicht bot. Jenseits des beschränkten Golfs zur
    Rechten wurde der Blick zuerst gefesselt von der Halbinsel
    Rosenheat, auf der sich eine dem Herzog von Argyle gehö-
    rende Villa in italienischem Stil erhob.
    Zur Linken begleitete die vordere Häuserreihe des Städt-
    chens Helensburgh die Wellenlinie des Strands, ragten zwei
    oder drei Türme empor, streckte sich der elegante Pier aus,
    der als Anlegeplatz für Dampfboote in den See hinausge-
    baut ist, und stieg endlich der hüglige Hintergrund, den da
    und dort verstreute freundliche Besitzungen belebten, ter-
    rassenförmig in die Höhe. Geradeaus, am linken Ufer des
    Clyde, bildeten Port Glasgow, die Ruinen des Schlosses
    Newark und Greenock mit seinem buntbewimpelten Mas-
    tenwald ein abwechslungsreiches Panorama, von dem sich
    das Auge nur ungern trennte.
    Diese Aussicht gewann noch an Reiz, wenn man den
    Hauptturm des Landhauses erstieg, von wo aus eine weite
    Strecke bis zum Horizont zu überschauen war.
    Diesen viereckigen Turm, mit leichten, an drei Ecken
    — 24 —
    seiner Plattform angesetzten Ausbauten, mit seinen Zin-
    nen und Schießscharten, den auch ein Gürtel ausgezahn-
    ter Steine umschloß, überragte an der vierten Ecke noch ein
    achtseitiges Türmchen. Hier erhob sich der Flaggenmast,
    den man in dieser Gegend überhaupt auf dem Dach jedes
    Hauses ebenso sicher wiederfindet, wie am Heck der Schiffe
    des Vereinigten Königreichs. Diese Art Donjon neueren Da-
    tums beherrschte also sämtliche zum eigentlichen ›Cottage‹
    gehörenden Baulichkeiten mit ihren unregelmäßigen Dä-
    chern, den fast nach Gutdünken angebrachten Fenstern, den
    vielförmigen Vorbauten, mit den die Fenster umrahmenden
    Gesimsen und den am oberen Ende verzierten Schornstei-
    nen, alles in allem geschmackvolle Phantasien, welche die
    angelsächsische Architektur überhaupt liebt.
    Hier auf der Plattform des oberen Turms, unter der Na-
    tionalflagge, die sich bei der Brise vom Firth of Clyde ent-
    faltete, verträumte Miss Campbell gern manche Stunde
    des Tages. Sie hatte sich da oben ein reizendes Plätzchen
    zurechtgemacht, wo sie – in der freien Luft wie auf einer
    Sternwarte – bei jeder Witterung, geschützt vor Wind, Son-
    nenbrand und Regen, lesen, schreiben und schlummern
    konnte. Hier mußte man sie meistens suchen. Befand sie
    sich nicht hier, dann ging sie ihrer Neigung folgend in den
    Alleen des Parks spazieren, allein oder in Begleitung von
    Mrs. Bess, wenn ihr

Weitere Kostenlose Bücher