Der Grüne Strahl
nicht verfehlen könnte, das junge Mädchen glücklich zu
machen.
Wenn man ihnen glauben durfte – oder vielmehr, wenn
man sie reden hörte –, schien es, als hätten sie jenen braven
Mann schon gefunden, dem diese beneidenswerte Aufgabe
zufallen sollte.
»Helena ist also ausgegangen, Bruder Sib?«
»Ja, Bruder Sam; aber es ist schon 5 Uhr und sie muß
bald zum Cottage heimkehren . . .«
»Und wenn sie zurückkommt . . .«
»Denk’ ich, Bruder Sam, wird die geeignete Zeit sein, mit
ihr einmal ein recht ernsthaftes Gespräch zu führen.«
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»Binnen wenigen Wochen, Bruder Sib, vollendet unsere
Tochter das 18. Lebensjahr.«
»Das Alter der Diana Vernon, Bruder Sam. Ist sie nicht
ebenso liebreizend wie die bewundernswerte Heldin von
›Rob Roy‹?«
»Gewiß, Bruder Sib, und bei der Grazie ihres Auftre-
tens . . .«
». . . bei der Lebhaftigkeit ihres Geistes . . .«
». . . bei der Originalität ihrer Ideen . . .«
». . . erinnert sie mehr an Diana Vernon als an Flora Mac-
Ivor, die große, imponierende Gestalt aus ›Waverley‹!«
Die auf ihren nationalen Romandichter stolzen Brüder
Melvill zitierten noch mehrere andere Namen weiblicher
Hauptcharaktere aus dem ›Altertümler‹, ›Guy Mannering‹,
dem ›Abt‹, dem ›Kloster‹, dem ›schönen Mädchen von
Perth‹, dem ›Schloß von Kenilworth‹ usw., aber ihrer Mei-
nung nach mußten alle Miss Campbell den Vorrang lassen.
»Sie ist ein junger Rosenstock, Bruder Sib, der etwas
schnell aufgeschossen ist, und dem es eine Wohltat sein
wird . . .«
». . . ihm eine Stütze, einen Beschützer zu geben, Bruder
Sam, und da hab’ ich mir sagen lassen, daß der beste Be-
schützer . . .«
». . . natürlich nur ein Ehemann sein kann, Bruder Sib,
denn er schlägt in demselben Boden Wurzel . . .«
». . . und wächst ganz entsprechend, Bruder Sam, mit dem
Rosenstock, den er schützt.«
Beide Brüder und Oheime Melvill waren gleichzeitig auf
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diese, dem ›Vollkommenen Gärtner‹ entlehnte Metapher
gekommen. Offenbar gewährte ihnen das eine gewisse Be-
friedigung, denn es erweckte ein völlig gleiches, zufriedenes
Lächeln auf ihren gutmütigen Gesichtern. Bruder Sib öff-
nete die gemeinsame Tabaksdose und griff säuberlich mit
zwei Fingerspitzen hinein; dann wanderte sie in die Hand
des Bruders Sam, der sich eine tüchtige Prise herauslangte
und sie dann gelassen in die Tasche gleiten ließ.
»Also stimmen wir überein, Bruder Sam?«
»Wie immer, Bruder Sib!«
»Auch bezüglich der Wahl des Beschützers?«
»Könnte man überhaupt eine sympathischere und für
Helena passendere Persönlichkeit finden als jenen jungen
Gelehrten, der uns wiederholt so anerkennenswerte Ge-
fühle kundgegeben . . .«
»Ob ebenso ernsthaft gemeinte?«
»Wer sollte daran zweifeln? Gut unterrichtet und gradu-
iert auf den Universitäten von Oxford und Edinburgh . . .«
». . . ein Physiker wie Tyndall . . .«
». . . ein Chemiker wie Faraday . . .«
». . . der alle Dinge dieser Erde von Grund auf kennt, Bru-
der Sam . . .«
». . . und den man mit keiner Frage in Verlegenheit zu
setzen vermöchte, Bruder Sib . . .«
»Der Abkömmling einer hochangesehenen Familie der
Grafschaft Fife und daneben Besitzer eines ziemlichen Ver-
mögens . . .«
». . . ohne seine, meiner Empfindung nach, trotz der Alu-
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miniumbrille höchst ansprechende Persönlichkeit zu er-
wähnen!«
Die Augengläser dieses Helden hätten nun freilich in
Stahl, in Nickel oder sogar in Gold gefaßt sein können, das
hätte seinen Wert in der Anschauung der Brüder Melvill
weder vermehrt noch vermindert. Solche optischen Hilfs-
mittel stehen übrigens jungen Gelehrten meist recht gut zu
Gesicht, da sie ihrer Physiognomie den Stempel eines ge-
wissen würdigen Ernstes aufdrücken helfen.
Doch würde dieser Graduierte der oben genannten Uni-
versitäten, dieser leidenschaftliche Physiker und Chemi-
ker auch Miss Campbell ebenso genehm sein? Glich Miss
Campbell einigermaßen der Diana Vernon, so weiß jeder-
mann, daß Diana Vernon für ihren gelehrten Vetter Rasleigh
keine andere Empfindung hegte, als die einer dauernden,
aufrichtigen Freundschaft, und daß sie ihn am Ende des
Buchs nicht heiratete. Schön! Das war indes gar nicht dazu
angetan, die Brüder Melvill zu beunruhigen. Sie gingen hier
gänzlich mit der Erfahrung alter Junggesellen zu Werke, das
heißt, sie verstanden von derartigen Dingen gar
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