Der Grüne Strahl
feuriges Roß sie nicht durch die um-
gebende Landschaft trug, wobei ihr der getreue Patridge
folgte, der sein Pferd tüchtig antreiben mußte, um hinter
der jungen Herrin nicht zurückzubleiben.
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Aus der zahlreichen Dienerschaft des Cottage müssen
wir besonders die beiden genannten Leute hervorheben, die
schon von Jugend auf mit der Familie Campbell gewisser-
maßen verwachsen waren.
Elisabeth, die ›Luckie‹, die Mutter – wie man die Haus-
verwalterin in den Hochlanden Schottlands gern nennt –
zählte damals ebensoviele Jahre, wie sie Schlüssel an ihrem
gewaltigen Bund trug, und das waren nicht weniger als 47.
Sie stellte eine wirklich umsichtige, ordentliche, ernste, ge-
setzte Herrscherin des Hauswesens vor, das hier auch in al-
lem Umfang ihrem Ressort angehörte. Vielleicht meinte sie
gar, die beiden Brüder Melvill, obwohl diese älter waren als
sie, selbst aufgezogen zu haben; jedenfalls widmete sie we-
nigstens Miss Campbell die mütterlichste Sorgfalt.
Neben dieser schätzenswerten Intendantin figurierte der
Schotte Patridge, ein seinen Herren bedingungslos ergebe-
ner Diener, der noch den alten Gewohnheiten seines Clans
treu geblieben war. Unveränderlich bekleidet mit dem Na-
tionalkostüm der Bergschotten, trug er die bunte hohe
Mütze, den Schurz aus großkariertem Wollstoff, der ihm
über den kurzen Rock bis zum Knie herabhing, den Pouch,
eine Art Beutel aus langen Fasern, die hohen durch rauten-
förmig geflochtene Schnüre gehaltenen Gamaschen und die
gebräuchliche Fußbekleidung mit Sandalen aus Rindsleder.
Eine Mrs. Bess als Wirtschafterin, und einen Patridge als
Schutz des Hauses, was konnte es mehr bedürfen, um sich
hienieden der Sicherheit häuslicher Ruhe zu erfreuen?
Der Leser wird bemerkt haben, daß Patridge bei Beant-
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wortung der Fragen der Brüder Melvill, als er von dem jun-
gen Mädchen sprach, nur »Miss Campbell« sagte.
Hätte der wackere Schotte sie nämlich »Miss Helena«,
also bei ihrem Taufnamen genannt, würde er sich eines gro-
ben Verstoßes gegen die Regeln schuldig gemacht haben,
welche die gesellschaftliche Stellung der Personen bezeich-
nen – eine Verletzung des Anstands, die man speziell mit
dem Wort ›Snobismus‹ zu kennzeichnen pflegt.
In der Tat trägt die letzte, respektive die einzige Toch-
ter einer Familie aus den vornehmen Ständen niemals ih-
ren Taufnamen. Wäre Miss Campbell die Tochter eines
Pairs gewesen, wäre sie »Lady Helena« genannt worden; der
Zweig der Campbells aber, zu dem sie gehörte, war nur in
Seitenlinie und ziemlich entfernt verwandt mit der direk-
ten Linie des Paladin Sir Colin Campbell, dessen Ahnen bis
zu den Kreuzzügen zurückreichen. Seit mehreren Jahrhun-
derten schon hatten sich die aus dem gemeinsamen Stamm
hervortretenden Zweige getrennt, von der Linie des ruhm-
reichen Ahnherrn, an den die Clans von Argyle, von Bread-
albane, von Lochnell und andere anknüpfen; so entfernt sie
diesen auch stand, fühlte Helena doch von ihrem Vater her
in ihren Adern ein wenig Blut rollen von dem Blut jener
weitberühmten Familie.
Außer eine stammesechte Miss Campbell war sie jedoch
auch eine wahre Schottin, eine jener edlen herrlichen Töch-
ter von Thule mit blauen Augen und blonden Haaren, deren
von Findon oder Edwards gemaltes Porträt, wenn es mit-
ten unter die Minnas, Brendas, Amy Robsarts, Flora Mac-
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Ivors, Diana Vernons, die Miss Wardour, Catherine Glovers
oder Mary Avenels plaziert wurde, die ›Keepsakes‹ (Samm-
lungen von Erzählungen) nicht verunziert hätte, in denen
die Engländer die schönsten weiblichen Typen ihres großen
Romanciers zusammenzustellen lieben.
Wirklich, sie war reizend, diese Miss Campbell. Jeder-
mann bewunderte ihr hübsches Gesicht mit den blauen
Augen – dem Blau der schottischen Seen, wie man gern
sagt –, ihre mittelgroße, aber elegante Figur, den etwas stol-
zen Gang, ihre meist ein wenig träumerische Physiognomie,
wenn nicht ein leicht ironischer Anflug ihre Züge belebte,
endlich überhaupt die ganze von Grazie und Vornehmheit
zeugende Erscheinung.
Und Miss Campbell war nicht nur schön, sie war auch
gutherzig. Reich durch ihre beiden Onkel, vermied sie es
doch stets, prahlsüchtig zu erscheinen. Mitleidigen Her-
zens, bemühte sie sich vielmehr, das alte gälische Sprich-
wort zu bestätigen: »Möchte die Hand, die sich öffnet, stets
voll sein!«
Vor allem
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