Der Grüne Strahl
nichts.
»Sie sind einander schon öfters begegnet, Bruder Sib,
und unser junger Freund schien für die Schönheit Helenas
nicht unempfänglich zu sein.«
»Das glaub’ ich gern, Bruder Sam. Wäre dem göttlichen
Ossian die Aufgabe zugefallen, ihre Tugenden, ihre Schön-
heit und Grazie zu preisen, dann würde er sie ›Moina‹,
das heißt ›die von der ganzen Welt Geliebte‹ genannt ha-
ben . . .«
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»Wenn er, Bruder Sib, für sie nicht auf den Namen ›Fi-
ona‹, das heißt ›die Schöne ohnegleichen aus der gälischen
Zeit‹, gekommen wäre.«
»Hat er, Bruder Sam, nicht gewissermaßen vorahnend
unsere Helena geschildert, wenn er sagt: ›Lassend die Kam-
mer der Einsamkeit, trat sie in Schönheit hervor, wie aus
Gewölk der junge Mond. . . .‹«
»›Wie Licht umstrahlte sie Liebreiz‹, Bruder Sib, ›ihr
Gang war Musik des Gesangs.‹«
Glücklicherweise sanken die beiden Brüder, ihre Zitiere-
rei unterbrechend, aus dem etwas nebelumhüllten Himmel
der Barden wieder in den Bereich der Wirklichkeit hernie-
der.»Jedenfalls«, meinte der eine, »wenn Helena unserm jun-
gen Gelehrten gefällt, kann es gar nicht fehlen, daß er auch
ihren Beifall findet . . .«
»Und wenn sie ihrerseits, Bruder Sam, ihm noch nicht all
die Aufmerksamkeit erwiesen hat, welche die großen Eigen-
schaften verdienen, mit denen er von der Hand der Mutter
Natur so reichlich ausgestattet ist . . .«
». . . dann kommt das, Bruder Sib, einzig und allein daher,
daß wir ihr noch nicht gesagt haben, es sei Zeit für sie, in
den Stand der heiligen Ehe zu treten.«
»An dem Tag aber, wo wir ihre Gedanken auf dieses Ziel
gerichtet haben werden, wird sie, selbst angenommen einen
gewissen Widerwillen ihrerseits, nicht gegen den ihr er-
wählten Gatten, noch gegen die Ehe im allgemeinen . . .«
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». . . gar nicht zögern, uns mit einem freudigen ›Ja‹ zu
antworten, Bruder Sam . . .«
»Genau wie der vortreffliche Benedikt, Bruder Sib, der,
nachdem er sich lange gesträubt . . .«
». . . doch bei der Lösung des Knotens in ›Viel Lärmen
um nichts‹ die Beatrix heiratet.«
In dieser Weise legten sich die beiden Oheime von Miss
Campbell die zu erwartenden Dinge zurecht, und der auf
allgemeines Wohlgefallen hinauslaufende Ausgang ihrer
Kombination erschien ihnen gleich naturgemäß, wie der in
der Komödie Shakespeares.
In vollkommener Übereinstimmung waren sie aufgestan-
den und sahen einander mit feinem, befriedigtem Lächeln
an, rieben sich auch, von derselben Empfindung inspiriert,
die Hände. Es war nun einmal eine abgemachte Sache, diese
Heirat. Welche Schwierigkeit hätte sich ihr entgegenstellen
können? Der junge Mann hatte bei ihnen schon verblümt
um das junge Mädchen angehalten, und sie würde darauf
eine Antwort erteilen, um deren Inhalt sie sich keinerlei
Sorge zu machen brauchten. Alle Vorbedingungen erschie-
nen ja erfüllt – es konnte sich höchstens noch darum han-
deln, etwa den Termin der Hochzeit festzusetzen.
Das sollte und mußte eine schöne, erhebende Feier wer-
den, die in Glasgow vor sich gehen sollte; hier aber, um die-
sen Nebenumstand wenigstens zu erwähnen, nicht in der
Kathedrale Saint Mungo, der einzigen Kirche Schottlands,
die, mit Saint Magus auf den Orkaden, im Zeitalter der Re-
formation unangetastet geblieben war. Nein! Diese war in
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ihrer Konstruktion zu massig und deshalb etwas zu düs-
ter für eine Trauung, die, nach der Vorstellung der Brüder
Melvill, einer vollen Blütenentfaltung frischer Jugend, ei-
nem Strahlenkranz von Liebe gleichen mußte. Sie gedach-
ten dazu eher Saint Andrew oder Saint Enoch oder sogar
die Kirche Saint George zu wählen, die sich im vornehms-
ten Teil der Stadt erhebt.
Die Brüder Sam und Sib fuhren fort, ihre Projekte in ei-
ner Form zu entwickeln, die mehr an einen Monolog, als
an einen Dialog erinnerte, weil ihr Gespräch ausnahmslos
dieselbe Reihenfolge in völlig gleicher Weise ausgedrückter
Ideen zutage förderte.
So plaudernd, betrachteten sie durch die rautenförmige
Öffnung des Fensters die schönen Bäume des Parks, unter
denen Miss Campbell eben spazierenging, die herrlich grü-
nen Rabatten, die plätschernde Bäche umrahmten, den von
einem fast phosphoreszierenden feinen Dunst bedeckten
Himmel, der den Hochlanden des inneren Schottlands ei-
gentümlich zu sein scheint.
Sie sahen sich gar nicht an; das wäre unnütz gewesen;
von Zeit
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